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Das fuenfte Imperium

Titel: Das fuenfte Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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an der Wand schlief und nachts zum Leben erwachte. Das eingesogene Blut schimmerte durch seine Haut wie durch einen Mückenbauch, daher auch der rote Fleck in der Mitte.
    Das Blut musste meines sein.
    Mir war schon klar, dass in meinen Ängsten Geschichten nachwirkten, wie ich sie zur Genüge in den Ferienlagern vernommen hatte - sie wurden von Jahrgang zu Jahrgang unverändert zum Besten gegeben. Trotzdem kam es regelmäßig zu Albträumen, aus denen ich in kaltem Schweiß erwachte. Es kam so weit, dass ich mich vor der Dunkelheit fürchtete, denn die Anwesenheit des sich an der Wand rekelnden Flughundes war physisch zu spüren, und damit er wieder zum Palmblattfächer wurde, musste ich das Licht einschalten. Da alle Beschwerden bei der Mutter nicht fruchteten, beschränkte ich mich darauf, den Fächer heimlich mit Sekundenkleber an der Tapete festzukleben. Damit war die Angst gebannt.
    Meinen ersten Weltentwurf brachte ich gleichfalls aus dem Ferienlager mit nach Hause. Dort hatte ich eine erstaunliche Wandmalerei gesehen: Eine flache Erdscheibe lagerte auf drei Walfischen in einem fahlblauen Ozean. Dieser Erde entwuchsen Bäume, Telegrafenmasten ragten hervor, sogar eine lustige rote Straßenbahn rollte durch eine Ansammlung gleichförmiger weißer Wohnblocks. UdSSR war auf den Rand der Erdscheibe geschrieben. Dass ich in diesem Land geboren war, wusste ich, und auch, dass es bald darauf zerbröselt war. Schwer zu begreifen! Häuser, Bäume und Straßenbahnen - alles noch da, nur der Grund, auf dem sie sich befunden hatten, fehlte ... Doch war ich da noch klein genug, dass mein Verstand sich mit diesem Paradoxon genauso zufriedengab wie mit hunderten anderer. Zumal mir bereits schwante, dass die sowjetische Katastrophe ihre wirtschaftliche Ursache hatte: Wenn man zwei Ziviloffiziere zu etwas beorderte, was in normalen Gesellschaften Sozialhilfeempfänger unter sich ausmachen, konnte das kein gutes Ende nehmen.
    Aber dies waren nur die blassen Schemen der Kindheit.
    Ein richtiges Bewusstsein meiner selbst hatte ich erst von dem Moment an, da die Kindheit zu Ende war. Es geschah, als ich im Fernsehen einen alten Trickfilm wiedersah. Eine Kolonne glücklicher kurzbeiniger Sowjet-Comichelden marschierte da über den Bildschirm. Fröhlich die Arme schwenkend, sangen sie:
Da kam die grüne Kröte
und bracht' den Schreck in Nöte
und bracht' den Schreck in Nöte
Und fraß den Heuschreck auf.  Das hätt' er unter Bäumen
sich niemals lassen träumen,
sich niemals lassen träumen,
solch traurigen Verlauf !...
    Ich wusste sofort: Die fröhlichen Kobolde erwiesen der Sowjetunion aus ihrer Sonnenstadt, wohin die Menschen den Weg nun doch nicht gefunden hatten, die letzte Ehre.
    Beim Anblick der Koboldkolonne brach ich in Tränen aus. Nicht dass die UdSSR nostalgische Gefühle in mir geweckt hätte - ich hatte ja gar keine Erinnerung an sie. Es lag an den großen Glockenblumen, die längs ihres Weges standen und sie deutlich überragten. Diese Riesenblumen riefen mir etwas ins Gedächtnis, etwas Einfaches und Entscheidendes, das ich schon vergessen hatte.
    Ich begriff, dass diese freundliche Kinderwelt, wo einem alles so riesig vorkam wie diese Blumen und wo, genau wie in dem Trickfilm, an glücklichen, sonnigen Wegen kein Mangel gewesen war - dass sie unwiderruflich hinter mir lag. Sie war irgendwo auf der Wiese geblieben, wo der Heuschreck gesessen hatte. Und es war klar, künftig würde ich es mit der Kröte zu tun kriegen - und das von Mal zu Mal konkreter.
    Sie hatte tatsächlich einen grünlichen Bauch, der Rücken war schwarz, und an jeder Ecke hatte sie ihre kleine gepanzerte Botschaft stehen: eine sogenannte Wechselstelle. Die Erwachsenen glaubten an nichts anderes mehr, doch ich sah schon kommen, dass auch die Kröte sie irgendwann hinters Licht führen würde, und dann wäre es für den Heuschreck zu spät.
    Außer diesen Männlein im Film schien es keiner für nötig zu erachten, sich von dem ungereimten Land meiner Geburt zu verabschieden. Selbst die drei Walfische, die es getragen hatten, taten so, als hätten sie nichts damit zu tun, und eröffneten ein Möbelgeschäft. (Ihre Reklame lief öfter im Fernsehen. Zwei Männer in weißen Anzügen kamen eine endlose Treppe heruntergetänzelt und trällerten: »Drei Wale - erste Wahl!«. Der dritte, durfte man annehmen, war im Außendienst; an der Firma sei der FSB mit 100 Prozent Kapital beteiligt, behauptete Mama, die jedesmal die Stirn kraus zog, wenn der

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