Das fuenfte Maedchen
Ich muss darüber nachdenken.
Nathan Baird beobachtete mich, lächelte ein wenig. Bei diesem Lächeln zeigte er keine Zähne, sondern zuckte lediglich mit den Mundwinkeln. Er fuhr sich wieder mit den Fingern durchs Haar und strich es aus den Augen. Ich verspürte das völlig verrückte Bedürfnis, nach seiner Hand zu greifen und ihn und Jinn nach Hause mitzunehmen und es ihnen gemütlich zu machen.
»Ich glaube, dafür ist es etwas zu spät, Ruby Red. Und du meinst das ja auch nicht wirklich, oder?«
Ich zuckte die Achseln.
Er lehnte die Schulter gegen den Türpfosten. »Im Augenblick ist alles etwas schwierig.«
»Du schuldest ein paar Typen Geld, das meinst du doch«, sagte ich.
Nun zuckte er die Achseln.
Ich betrachtete über seine Schulter hinweg Dunedin, das Haus der Kobolde.
»Tut mir leid, dass du ausgezogen bist.« Meine Worte hörten sich schnarrend an.
Die Fältchen um seine Augen vertieften sich, doch seine Lippen wurden schmal, und er schwieg. Er wirkte gekränkt.
»Ich möchte, dass Jinn nach Hause kommt«, sagte ich und starrte immer noch auf den Kokosnusseis-Fenstersims und den rissigen Lack.
»Du solltest sie lieber selber fragen.«
Er machte es mir nicht leicht, aber wer hätte ihm das verübeln können?
»Wo ist sie?«
»Weià nicht. Vielleicht ist sie mit Leuten zusammen, die sie mag.«
Ich wollte Nathan nicht den Rücken kehren, nicht sofort. Ich trat ein paar Schritte zurück, musterte ihn, versuchte herauszufinden, ob er mich belog, selbstzufrieden grinste. Er lieà mich ebenfalls nicht aus den Augen, zeigte keinerlei Gefühlsregung, doch dann hob er den Blick, riss die Augen auf und starrte über meine Schulter.
Uralter Trick, dachte ich und kniff misstrauisch die Augen zusammen, doch dann drehte ich mich um.
Auf der anderen StraÃenseite stand der Aufblasbare George, genau an der Stelle, an der ich das letzte Mal gestanden hatte. Er versuchte nicht, sich zu verstecken, und er sah mich nicht einmal an. Er stand einfach da, die Hände in den Taschen vergraben, und starrte Nathan an. Der Blick, den Nathan ihm zuwarf, war voller Hass.
Dieses gegenseitige Anstarren währte eine Ewigkeit, und ich weià nicht, wer es gewonnen hat. SchlieÃlich lächelte George mich an, winkte mir freundlich zu und ignorierte Nathan völlig. Ich hörte, wie die Tür zugeschlagen wurde, und sogar dieses Geräusch war voller Hass.
Ich überquerte die StraÃe. »Hi.«
»Hi, Ruby. Ich wollte mit Jinn reden. Aber sie ist wohl nicht da?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Bertha ist dermaÃen durcheinander wegen ihr. Sie zeigt es nicht, aber sie ist es.«
»Ich weië, sagte ich.
»Sie tut so, als mache es ihr nichts aus, und sie gibt sich von oben herab, aber das solltest du gar nicht beachten.«
»Ich weiÃ. Tu ich auch nicht.«
»Sie mag Jinn sehr gern. Ich wünschte mir, Jinn würde zur Vernunft kommen.«
»Ja.« Ich zuckte unbehaglich die Schultern. »Ich weià auch nicht mehr, was ich tun soll.«
»Nun, lass von dir hören. Bertha würde nicht wollen, dass du wegbleibst, weil du vielleicht verlegen bist oder so, okay? Du stehst quasi auf derselben Seite. Verstehst du? Sie wirft dir nämlich nicht vor, dass Jinn geklaut hat. Natürlich nicht.«
Donnerwetter, wie schafften es die Menschen nur, so viele Wörter auf einmal auszuspucken? Doch ich war ihm dankbar dafür und lächelte ihn an. »Okay.«
Er erwiderte mein Lächeln. »Es hat also keinen Sinn, wenn ich weiter hier rumhänge. Vielleicht versuche ich es ein andermal. Vielleicht schmeiÃt sie mich aber auch einfach raus.« Er tätschelte meinen Arm und steckte dann wieder die Hände in die Hosentaschen und entfernte sich in Richtung Mini-Markt.
Das war nett von ihm, erweckte jedoch eine Art Schuldgefühl in mir. Da waren all die Menschen, die sich um Jinn sorgten, nach ihr suchten, und ich hatte nicht wirklich Kontakt mit ihr gehalten, denn ich war zu sehr mit meinem Selbstmitleid beschäftigt gewesen und hatte meinen Mutterersatz vermisst. Ich musste die dumme Kuh unbedingt finden und mich davon überzeugen, dass es ihr gut ging. Was hatte Nathan noch gesagt?
Vielleicht ist sie mit Leuten zusammen, die sie mag.
Also die Leute, die sie abgesehen von mir am liebsten mochte, waren die Dicke Bertha und der Aufblasbare George, und sie würde
Weitere Kostenlose Bücher