Das fuenfte Maedchen
Wind fuhr durch eine dürre Birke und ein paar verwelkte Blätter fielen herunter. Ich fröstelte. Wenn man so laut vor einem Grab spricht, ist es, als wenn man etwas zerstöre. Ich hatte das Gefühl, dass all die Toten unter der Erde sich bis zu meinem Kommen lebhaft unterhalten hatten. Dann tauchte ich auf und unterbrach eine interessante Unterhaltung. Ich hatte das Gefühl, dass sie alle verstummt waren und jetzt lauschten und warteten, was ich als Nächstes sagen würde.
Ich dachte an Alex Jerrold und überlegte, ob er sich dessen bewusst war, dass er jetzt hier liegen könnte, doch er hatte es vermasselt und sich gerettet, war ins sichere Netz gegangen wie eine Fliege, auch wenn er keine Flügel hatte.
Ich stand unvermittelt auf, blickte über die Grabsteine auf das Industriegebiet und die UmgehungsstraÃe. Ich hörte Autolärm und das plötzliche Hupen eines Lastwagens, dort drauÃen, wo ich nicht dem leisen Rascheln der Birke oder dem Gemurmel der Toten würde lauschen müssen.
Ich griff nach meiner Tasche und ging mit meinen Malteser irgendwo anders hin.
Achtzehn
Der Salon Cut NâDried hatte groÃe Spiegelglasfenster mit Blick auf eine schmale EinbahnstraÃe. Wenn also ein ruhiger Augenblick herrschte, konnte man mühelos die Passanten beobachten. Im Salon war es immer heiÃ, allein schon durch die Föhne, die immer in Betrieb waren. Heute war ein milder Tag, also ging ich, als sich die Gelegenheit bot, zur offenen Tür, um tief einzuatmen. Es war nicht viel zu tun, es war einer jener ruhigen Tage, und ich war lediglich damit beschäftigt, Haare zusammenzufegen.
Ich öffnete den Mund, um Luft einzuatmen, die nicht nach Kokosnuss-Shampoo und Conditioner roch. Mein Mund blieb offen und ich machte Stielaugen. Nathan Baird war gerade aus dem Surfgeschäft gegenüber gekommen (als ob Glassford eine kleine Stadt in Kalifornien oder dergleichen wäre) und sah glücklich aus. Meiner Meinung nach zu glücklich. Glücklich wie Lara: ungut-glücklich.
Ich murmelte etwas, und zwar so leise, dass der Chef es nicht hörte, und rannte hinaus.
»Ruby, hast du jetzt Kaffeepause?«, hörte ich Clarissas schrille Stimme hinter mir.
Wenn sie meinte. Ich hatte nichts dagegen.
»Nathan!«, rief ich laut.
Er warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und ging dann spöttisch lächelnd seines Wegs.
Ich blieb unentschlossen stehen. Doch ich kannte den Ruf dieses Surfgeschäfts; in den Frisiersalons wird ausgiebig getratscht. Und Nathan war nicht mit einem brandneuen Neoprenanzug aufgetaucht. Ich rannte hinter ihm her, stieà zwei ältere Damen an, sprang zwischen Bürgersteig und StraÃe hin und her, um einem Kinderwagen auszuweichen, und wurde von einem aufgemotzten Jogger angeblafft.
Nathan ging unbeirrt weiter. Er wusste, dass ich hinter ihm war, und machte sich einfach einen Spaà daraus, mich vorzuführen: mal stehen bleiben und weitergehen, sowie ich ihn rief. Ich hasste ihn. Am liebsten hätte ich ihn vor einen Bus gestoÃen. Verdammt, ich wollte ihn doch nur einholen .
SchlieÃlich ging er durch die Tür der biedersten Teestube der Stadt, wo die Kellnerinnen 180 Jahre alt waren und weiÃe Schürzen trugen. Sie hatten noch nie etwas von Haselnuss-Latte gehört. Nathan setzte sich an einen Tisch mit Spitzendecke am Fenster, bestellte eine Kanne Darjeeling und grinste mich an.
Ich schnappte mir einen Stuhl ihm gegenüber und setzte mich. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, ihn geschlagen, doch ich konnte hier auf keinen Fall eine Szene machen. Es würde massenweise Herzstillstände geben. Nathan 1, Ruby 0.
»Bestell dir ân Scone«, schlug er vor.
»Lass sie in Frieden!«, platzte ich heraus.
Er studierte aufmerksam die alte Dame hinter dem Tresen, die bedächtig tagealtes Gebäck arrangierte. »Ich denke, es wird ihr nichts ausmachen, ist schlieÃlich ihr Job.«
»Hör auf damit. Ich meine Jinn .«
Er beugte sich vor, sein Lächeln war verschwunden. »Ruby Red, das geht dich nichts an.«
»Lass einfach meine Schwester in Ruhe. Bitte, gib sie auf.«
»Das kann ich nicht.« Einen Moment lang sah er sehr ernst aus, fast traurig.
»Du weiÃt, was sie für dich tut«, zischte ich.
Er schwieg, nippte an seinem Darjeeling. Er verarschte mich schon wieder. »Was tut sie für mich?«
»Hör auf damit! Wenn du nur
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