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Das fuenfte Maedchen

Das fuenfte Maedchen

Titel: Das fuenfte Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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noch nach ihr – nach Jinn, Erde und Unkraut. Ich zog ihre Schubladen auf, durchwühlte ihre Sachen: Lippenstifte, Kämme und kaputte Ohrringe, halb leere Parfumflaschen, die die Farbe von Urin angenommen hatten, und Reste von Bonbonpapier. Außerdem fand ich Unterwäsche, zerknüllte Strumpfhosen, Sportsocken und Hosen. Ich fühlte mich wie eine Grabschänderin.
    Hochrot vor Scham, schob ich die Schublade zu, rieb dann auf meinen Fingerabdrücken auf dem Melamin herum, als ob die Polizei dies später überprüfen würde. War wohl das schlechte Gewissen.
    Ich konnte mich gar nicht von ihrem Zimmer trennen. Hier drin fühlte sich meine Haut weniger verletzlich an. Da waren ihre Schmuckschatulle, ihre alte Haarbürste, in der noch glänzende Haare steckten. Der Schuhkarton auf dem Fenstersims, den sie mit einem alten zerschnittenen T-Shirt überzogen hatte. Wie hatte sie je die Zeit gefunden, so etwas zu basteln? Ich erkannte den Stoff: Es war ein rotes Seiden-T-Shirt von Lara. Noch nie zuvor hatte ich in den Karton reingeschaut, aber jetzt war meine Neugier nicht zu bremsen.
    Ich griff danach, setzte mich im Schneidersitz auf Jinns Bett, den Karton auf dem Schoß. Auf der einen Seite, der dem Fenster zugewandten, hatte sich die rote Seide im Sonnenlicht blassrosa verfärbt. Als ich den mit einem Band verschlossenen und paillettenbesetzten Deckel öffnete, war ich fast auf die Seuchen der gesamten Menschheit gefasst. Doch diese waren bereits freigelassen, liefen frei herum und die Hoffnung war mit ihnen gegangen.
    Verdammt noch mal, ich hatte wieder Halluzinationen.
    Ich gemahnte mich, dass es kein Leben mehr gab, in das ich eindringen konnte, alles war tot und vorbei. Trotzdem zitterten meine Finger, als ich die Gegenstände in dem Karton berührte.
    Muscheln und Kieselsteine. Ich kann mich noch genau erinnern, wie Jinn sie gesammelt hatte, und sie hatten mir damals genauso viel bedeutet wie ihr. Jetzt erkannte ich ihre gesprenkelten Formen kaum mehr. Nichts entfachte die geringste Nostalgie in mir. Die Spuren von Sand, die an ihnen klebten, waren knochentrocken, und sie strömten auch nicht mehr den Geruch nach Meer aus.
    Ich nahm eine nach der anderen heraus und bildete auf dem Bett eine hübsche Reihe, dann griff ich nochmals in den Karton. Noch mehr Stofffetzen. Kleine Reste von einem Schal von Lara. Ein alter Haargummi, den ich benutzte, als mein Haar noch mausgrau und lang war und ich noch Zöpfe trug. Ich rieb mir die juckende Nase mit der Faust. Da war noch ein Päckchen, das mit silberblauem Band umwickelt war, hübsch verpackt, doch im Inneren war etwas Hartes: vielleicht noch ein Strandkiesel. Als ich es auspackte, fiel mir der Bernstein in die Hand, und die dicke Silberkette glitt mir durch die Finger.
    Oh.
    Ich erinnerte mich, als Jinn an jenem Tag nach Hause kam. An die unheimliche Stille, als sie sich in ihrem Zimmer zu schaffen machte und mein Angebot, einen Tee zu trinken, ablehnte. Ich will nur schnell ein paar Dinge holen. Du hast doch nicht in meinen Sachen herumgewühlt, Ruby, oder? Gut. Also lass es bleiben.
    Sie ließ die Kette an jenem Tag zurück, denn es war weniger wahrscheinlich, dass sie sie verkaufte, wenn sie sie nicht in Händen hielt. Ich rieb den Bernstein mit dem Daumen, spürte den warmen Stein. Sie hatte ihn nicht verkauft, sondern in ihrem Zimmer zurückgelassen. In meiner nichts ahnenden Obhut. Und sie schloss die Tür ihres Zimmers und warf mir einen warnenden Blick zu.
    Wühl nicht in meinen Sachen herum .
    Ich starrte auf den Bernstein in meinem Schoß. Ich überlegte, ob es schwieriger gewesen wäre, sie mit dieser Kette zu erwürgen, ob sie vielleicht eine größere Chance gehabt hätte, wenn sie nicht dieses Lederband gewählt hätte.
    Vermutlich nicht.
    Als Letztes lag ein Viereck zusammengefalteten Stoffs in dem Karton. Fast hätte ich nicht hineingeschaut, weil ich annahm, dass er nur als Unterlage für den Bernstein diente. Doch als ich ihn auseinanderfaltete, kam eine dünne billige Kette zum Vorschein, die sorgfältig im Kreis gewunden war, damit sie sich nicht verknotete. An dieser Kette hing eine winzige Katze, die mir mit einem rubinroten Auge zublinzelte.
    Ich bettete sie in die Handfläche und berührte sie mit der Fingerspitze. Ich konnte nicht atmen. Schuld- und Reuegefühle kamen wie eine große Woge über mich. Marley hatte die Kette zurückgegeben,

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