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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Mann war so begeistert von Corridas, daß er unbedingt selbst den Stier
spielen wollte.“
    In diesem Ton ging es weiter. Während
sie noch ihren Sarkasmus versprühte, hatte Rotkartoffel sich von seinem Sessel
erhoben. Schweigsam, ganz kühl, wühlte er in meinen Sachen, so als suche er
nach einer Trophäe, wie Jackie. Ganz besonders aufmerksam sah er sich meine
Papiere und meinen Füllfederhalter an. Dann entdeckte er eine kleine, rote
Schachtel und fing sofort an, damit zu spielen. Ich fragte mich, was diese
Schachtel hier zu suchen hatte. Normalerweise war ihr Platz in Paris, aber ich
hatte sie in meiner Tasche vergessen und schleppte sie seit dem 6. mit mir
herum. Sie enthielt ein Zusatzobjektiv, mit dem man aus nächster Nähe Fotos
schießen konnte. Ich hoffte, daß sie die Schlacht heil überstanden hatte.
Rotkartoffel öffnete die Schachtel. Ich sah, daß das Objektiv keinen Schaden
genommen hatte und immer noch in Seidenpapier eingewickelt war. Der Deutsche
schloß die Schachtel, hielt sie in der Hand und schaute sich wieder meine
Sachen an. Plötzlich sah er mir direkt in die Augen.
    „Privatdetektiv, stimmt’s?“ fragte er,
so als wisse er’s nicht.
    Er sagte dies mit einem komischen
Blick, einem komischen Lächeln und einem komischen Ton.
    Mir kam die plötzliche Erleuchtung:
Der Kerl war schlau, hatte einen verdammt scharfen Blick und kapierte im Nu.
Großer Gott, wie schnell der kapierte! Wer er auch war und wie er auch hieß,
sein Hirn bestand jedenfalls nicht aus Briekäse. Kein Wunder, daß er im
Handumdrehen gemerkt hatte, daß Marc Covet ihm gefolgt war! Aber wenn er so
schlau war, warum behielt er dann ein Dokument, das „nach Kenntnisnahme
vernichtet“ werden sollte? Hatte er vielleicht nichts anderes, um sich
auszuweisen? Glich er am Ende gar nicht einer Kartoffel, sondern einem Steak?
Einem blutigen Steak? Hatten wir uns am Ende ganz umsonst aufgeregt und in der
Aufregung unser Leben riskiert?
     
    * * *
     
    Der massige, rotgesichtige Mann
steckte das Zusatzobjektiv in die Tasche seines Lodenmantels und traf eine
Entscheidung.
    „Das ist alles ja recht hübsch“, sagte
er in eisigem Ton zu der hitzigen Tänzerin, „aber ich bin nicht
hierhergekommen, um Ihre Tobsuchtsanfälle zu bestaunen. Unter uns gesagt, Sie
sollten Ihre Nerven schonen! Eines schönen Tages werden Sie sich damit selbst
einen üblen Streich spielen... Aber Schluß mit dem Unsinn! Verlieren wir nicht
noch mehr Zeit und legen wir die Karten auf den Tisch. Die Briefe sind ein für
allemal verloren. Darauf zu warten, daß Fernèse wieder zu Verstand kommt und
sein Geheimnis ausplaudert, nur weil Sie ihn an den Ort seiner Erfindung
geschleppt haben — dafür müßte man mindestens so verrückt sein wie er. Eine
andere Therapie muß her! Ich habe Ihnen bereits einen Vorschlag gemacht, den
ich hiermit erneuern will. Ich kann ihn von einem bekannten Psychiater
behandeln lassen. Das ist unsere letzte Chance. Sie wissen, wie gering diese
Chance ist! Soviel, wie früher für die Briefe mit der Erfindung ausgemacht
worden ist, möchte ich nicht mehr zahlen. Wir müssen einen Kompromiß finden,
der beide Seiten zufriedenstellt. Mein Angebot war...“
    „...zu niedrig“, unterbrach Jackie
Lamour den Deutschen. „Das habe ich Ihnen schon gesagt. Fernèse bewahrt in
seinem Hirn ein Geheimnis, das Millionen wert ist.“
    „Das möchte ich gerne mal von innen
sehen, das Hirn! Im Moment ist der Mann ein Wrack. Meine Leute könnten
vielleicht etwas aus ihm rausholen... es wenigstens versuchen... Mein Gott,
behalten Sie Ihren Verrückten, wenn Sie unbedingt wollen! Irgendwann werden Sie
ihn umbringen müssen, weil er zu lästig wird. Ohne daß er Ihnen auch nur eine
müde Mark eingebracht hätte! Gehen Sie aber auf mein Angebot ein, dann...“
    „Wie hoch war noch die Summe?“
    Der Streit ums Geld ging los, eine
unendliche, mit Leidenschaft geführte Diskussion. Manchmal waren ihre Stimmen
kaum zu hören, eine Sekunde später hallte das Zimmer von lauten Flüchen wider.
Wirklich zum Kotzen, wie hier um die Haut eines Mannes gefeilscht wurde.
Wenigstens wäre es mir so erschienen, hätte ich nicht gewußt, daß das ganze
Theater in gewissem Maße... Theater war.
    Ich muß wohl eingedöst sein, erschöpft
von Schmerzen, Müdigkeit und Fieber. Plötzlich weckte mich eine gepfefferte
Ohrfeige. Jackie Lamour verabschiedete sich in gewohnter Herzlichkeit von mir.
Ein Reisemantel verhüllte die Fetzen ihres Kleides. Dédé und Paulot

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