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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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den Weg zu Raoul zurück. Also, Sie
wissen Bescheid, hm? Sie gehen die Hauptstraße entlang, dann rechts...“
    Ein wenig benommen stand ich auf.
Dieser verdammte Rachenputzer! Draußen war es schwarz — wie die Nacht eben — ,
und ich war blau. Hoffentlich hatte Raoul ein Bett frei, das er mir vermieten
konnte!
     
    * * *
     
    Die Nacht war kalt. Ich schlotterte in
meinem lächerlichen Trenchcoat. Außerdem hatte ich Hunger. Ich beschleunigte
den Schritt. Der scharfe Wind tat mir gut, und ich wurde langsam wieder
nüchtern. Trotzdem stolperte ich alle paar Meter, weil die Straße in einem
jämmerlichen Zustand war. Zum Glück ging der Mond auf, und ich konnte die
Unebenheiten erkennen.
    Bald kam ich an einem kleinen Häuschen
vorbei. Nach der Beschreibung des Saufbruders mußte es Fernèse gehört haben. Es
stand etwas abseits von der Straße, auf einem kleinen Hügel. Der Mond tauchte
es in bleiches Licht und enthüllte so das ganze Elend. Dahinter staken die
skelettartigen Bohrtürme in die Höhe. Sahen aus wie riesige, bedrohliche Tiere.
Ich mußte daran denken, daß dort, in jener harmlos erscheinenden Bruchbude,
Victor Fernèse die fatale Entwicklung eines neuen Bohrverfahrens abgeschlossen
hatte. Wegen der Erfindung dieses Pazifisten hatten schon so einige Menschen
ins Gras beißen müssen. ,Verdammter Brutkasten’, dachte ich, ,komische Geburtsstätte!“
    Aus Gewohnheit näherte ich mich
mechanisch dem baufälligen Häuschen. Ein Pfosten hielt die Überreste eines
verrosteten Briefkastens. Auch das Namensschild war noch zu entziffern, ein
abgeblättertes Emailschild: V CTOR    RNESE. Wenigstens der hatte
seinen Namen nie geändert! Ich verlor mich in Gedanken, mußte mich wohl gegen
die Tür gelehnt haben — der Alkohol war noch nicht aus meinem Blut
verschwunden! — , jedenfalls fand ich mich, ich weiß nicht wie, im Hausflur
wieder. Ich ging den schmalen Korridor entlang, der plötzlich einen scharfen
Knick machte. Dort blieb ich wie angewurzelt stehen. Mit einem Schlag stand ich
mit beiden Beinen wieder in der Wirklichkeit. Ein schmaler Lichtstreifen drang
durch eine schlecht schließende Tür!
    Ich ging langsam weiter, auf ganz
leisen Sohlen. Auf der anderen Seite der besagten Tür wurde gesprochen. Der
verräterische Spalt war breiter, als ich gedacht hatte. Wenn ich mein Auge ganz
nah daranlegte, würde sich mir ein relativ großer Teil des Zimmers erschließen.
Ich riskierte also einen Blick... und mein kleiner Schwips verschwand
endgültig. Das, was ich sah, verscheuchte augenblicklich jegliche Spur Alkohol
aus meinem Blut.
    Zwei rauchende Petroleumlämpchen
erhellten die Szene notdürftig. Das Mobiliar des Raums war spärlich, seine
Garantiezeit schon lange abgelaufen. Ich sah einen wackligen Tisch mit mehreren
Schubladen, einen Schrank, der in der Wand verankert war (wahrscheinlich der
Grund dafür, daß er immer noch hier stand), eine Sitzgelegenheit, die entfernt
an einen Sessel erinnerte. Der Kram stammte offenbar aus dem Keller, vom
Speicher oder vom Müll.
    Mit Hut, Mantel und Schal, schlecht
oder gar nicht rasiert, saß Rotkartoffel in dem Sessel, wie zu Hause, mit
gelangweiltem Gesichtsausdruck. Ein weiterer Mann ging in dem Zimmer auf und ab
und ergänzte das Mobiliar durch seine vielfachen, wandernden Schatten: Dédé.
Sein Gesicht war bleigrau, mit dunklen Schatten am Kinn und unter der Nase. Er
sah nicht gelangweilt, sondern übernervös aus.
    Und schließlich war da noch ein
dritter Mann, verängstigt, in Lumpen gehüllt, die er aus wer weiß welchem
Trödelladen hatte. Wie ein gehetztes Wild stand er geduckt in der Ecke: Victor
Fernèse.
    „Wirklich lächerlich, Ihre Therapie!“
schimpfte der Deutsche. „So schaffen Sie es nie! Mein Gott, ich möchte wissen,
warum ich hierhergekommen bin! Akzeptieren Sie den Vorschlag, den ich Ihnen
gemacht habe! Soviel Zeit hab ich nämlich nicht. Außerdem bin ich’s leid, mich
wie ein Einsiedler zu vergraben, schlecht zu schlafen und noch schlechter oder
gar nichts zu essen. Einen Tag gebe ich Ihnen noch, dann reise ich ab! Sie
können sehen, wie Sie mit dem Bekloppten da fertigwerden.“
    „Ich bin nicht der Chef“, erwiderte
der andere seufzend. „Sie wissen doch, wie sie ist! Sie will unbedingt das Geheimnis
aus dem Blödmann rausquetschen. Auf einem Silbertablett soll er’s ihr
servieren, hier, in der Umgebung von früher, wo er sein System entwickelt hat!
Wenn ich so’n Quatsch höre, bricht mir der Schweiß aus!“
    Ich

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