Das fünfte Zeichen
Unter der Telefonnummer, die er ihr gegeben habe, nehme niemand ab, und weder über die Auskunft noch das Prager Adressenregister sei es ihr gelungen, ihn ausfindig zu machen. Sie hoffe, dass ihn der Brief irgendwie erreichen würde, und fragte, ob er aus Prag habe fortziehen müssen. Vielleicht sei er ja noch imme r i n denselben finanzie l len Schwierigkeiten, deretwegen sie ihm Geld geliehen habe? «
Barli lachte hohl. » Dann solle er sich einfach melden, schrieb sie. Sie würde ihm auch noch einmal helfen. Weil sie ihn liebe. Sie denke an nichts anderes, und die Trennung von ihm mache sie wahnsinnig. Sie habe gehofft, das würde sich mit der Zeit geben, doch stattdessen habe sich diese Sehnsucht wie eine Krankheit über jeden Zentimeter ihres Körpers ausgebreitet. Einige Zentimeter schmerzten dabei wohl schlimmer als andere, denn sie schrieb, sie würde häufig, wenn sie ihren Ehemann –also mich –mit ihr schlafen ließe, die Augen schließen und sich vorstellen, er sei es. Ich war geschockt. Wie gelähmt. Aber den tödlichen Stich versetzte mir der Stempel auf dem Umschlag. «
Willy Barlis Augen waren nur noch schmale Schlitze.
» Der Brief war vom Februar. Vom Februar dieses Jahres. «
Ein neuer Blitz warf Schatten an die Wände, die wie Geister aus Licht hängen blieben.
» Was tut man in so einem Fall? «, fragte Willy.
» Ja, was? «
Willy lächelte blass. » Ich für meinen Teil servierte Foie Gras mit einem süßen Wein. Ich hatte das Bett mit Rosen bedeckt, und wir liebten uns die ganze Nacht. Als sie gegen Morgen einschlief, blieb ich liegen und betrachtete sie. Ich wusste, dass ich ohne sie nicht leben konnte. Aber ich wusste auch, dass ich sie erst verlieren musste, um sie wieder zu der meinen machen zu können. «
» Und da hast du begonnen, das Ganze zu planen. In Szene zu setzen, wie du deiner Frau das Leben nehmen und gleichzeitig dafür sorgen konntest, dass der Mann, den sie liebte, die Schuld bekam. «
Barli zuckte die Achseln. » Ich ging so zu Werke, als handelte es sich um irgendein beliebiges Theaterstück. Wie jeder Regi s seur weiß ich, dass die Illusion das Wichtigste ist. Die Lüge muss als derart wahr dargestellt werden, dass die Wahrheit höchst unwahrscheinlich erscheint. Das hört sic h v ielleicht schwierig an. In meinem Metier lernt man jedoch schnell, dass das in der Regel leichter ist als das Gegenteil. Die Menschen sind mit der Lüge vertrauter als mit der Wahrheit. «
» Hmm. Erzähl mir, wie du das angestellt hast. «
» Warum sollte ich das riskieren? «
» Ich kann doch sowieso nichts von dem, was du sagst, gegen dich verwenden. Ich hab keine Zeugen und bin dazu noch auf unerlaubte Weise in deine Wohnung eingestiegen. «
» Nein, aber du bist ein kluger Kopf, Harry. Ich könnte etwas verraten, das dir bei deinen Ermittlungen hilft. «
» Vielleicht. Aber ich glaube, du bist bereit, dieses Risiko einzugehen. «
» Warum? «
» Weil du Lust hast, alles zu erzählen. Du brennst darauf. Hör dir nur selbst zu. «
Willy Barli lachte laut. » Du glaubst also, mich zu kennen, Harry? «
Harry schüttelte den Kopf, während er nach seinen Zigaretten suchte. Vergeblich. Vielleicht hatte er sie bei seinem Sturz auf dem Dach verloren. » Ich kenne dich nicht, Willy. Oder solche wie dich. Ich habe in meiner Arbeit seit fünfzehn Jahren mit Mördern zu tun, und trotzdem weiß ich nur eins. Dass alle nach jemandem suchen, dem sie es erzählen können. Erinnerst du dich, was ich dir im Theater versprechen musste? Dass ich den Täter finde. Nun, ich habe mein Versprechen gehalten. Also lass uns einen Deal machen. Du sagst mir, wie, und ich erzähle dir, was ich gegen dich in der Hand habe. «
Barli fixierte Harry. Mit einer Hand strich er immer wieder über die Gummimatratze. » Du hast Recht, Harry. Ich will es dir erzählen. Genauer gesagt, ich will, dass du es verstehst. Und du wirst es verstehen, wie ich dich kenne. Ich habe dich nämlich von Anfang an beobachtet. « Er lachte über Harr y s Gesichtsau s druck.
» Das wusstest du nicht, oder? «
Harry zuckte als Antwort mit den Schultern.
» Sven Sivertsen zu finden dauerte länger, als ich gedacht hatte «, sagte Barli. » Ich machte mir eine Kopie von dem Foto, das Lisbeth von ihm erhalten hatte, und reiste nach Prag. Streifte durch alle Cafés und Bars der Stadtteile Mustek und Perlov á , zeigte das Bild herum und fragte, ob jemand einen Norweger namens Sven Sivertsen kannte. Vergeblich. Dabei wurde mir
Weitere Kostenlose Bücher