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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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man es gewohnt war, Dinge zu verschweigen. Es wäre sicher nicht ans Tageslicht gekommen, wenn wir nicht die Wohnung renoviert hätten. Ich habe einen Brief gefunden. «
    » Ach ja? «
    » Eine Wand in ihrem Arbeitszimmer besteht nur aus nacktem Mauerwerk. Das ist noch die Originalmauer aus der Zeit, als das Haus um die Jahrhundertwende gebaut wurde. Solide, aber im Winter wird sie eiskalt. Ich wollte eine Holzverschalung machen und die Wand isolieren. Lisbeth protestierte. Das fand ich merkwürdig, denn sie ist ein praktisches Mädchen, aufgewac h sen auf einem Bauernhof. Nicht der Typ, der wegen einer alten Mauer sentimental wird. Deshalb habe ich eines Tages, als sie weg war, die Mauer untersucht. Ich konnte nichts finden, bis ich ihren Schreibtisch wegschob. Zunächst war da nichts Ung e wöhnliches, doc h a ls ich an allen Ziegeln rüttelte, gab einer nach. Einer von ihnen gab nach. Ich zog, und er löste sich. Den Spalt ringsherum hatte sie mit grauem Putz getarnt. Hinter dem Stein fand ich zwei Briefe. Auf dem Umschlag stand Lisbeth Harang und eine Postfachadresse, von der ich nichts wusste. Meine erste Reaktion war, die Briefe ungelesen wieder zurüc k zulegen, mir einzureden, ich hätte sie nie gesehen. Doch ich bin ein schwacher Mann, ich konnte das nicht. › Meine Geliebte! Du gehst mir nicht aus dem Kopf, und noch immer spüre ich deine Lippen auf den meinen, deine Haut auf meiner. ‹ So begann der Brief. «
    Es gluckerte im Bett.
    » Die Worte brannten wie Peitschenhiebe, aber ich las weiter. Es war seltsam, doch mir kam es irgendwie vor, als könnte jedes Wort genauso gut von mir sein. Als er damit fertig war, zu betonen, wie sehr er sie liebte, beschrieb er bis ins Detail, was sie in diesem Hotelzimmer in Prag miteinander gemacht hatten. Aber es war nicht die Schilderung des Liebesaktes, die mich am meisten verletzte. Es war die Tatsache, dass er zitierte, was sie offensichtlich über unsere Beziehung geäußert hatte. Dass das für sie bloß eine › praktische Lösung in einem Leben ohne Liebe ‹ sei. Kannst du dir vorstellen, wie sich das anfühlt, Harry? Wenn plötzlich herauskommt, dass die Frau, die du liebst, dich nicht nur betrogen, sondern dich überdies nie geliebt hat. Nicht geliebt zu werden –ist das nicht der Inbegriff eines verfehlten Lebens? «
    » Nein «, sagte Harry.
    » Nein? «
    » Erzähl weiter, bitte. «
    Barli musterte Harry.
    » Er hatte ein Bild von sich beigelegt. Vermutlich hatte sie ihn angefleht, ihr eins zu schicken. Ich erkannte ihn wieder. Es war ein Norweger, den wir in einem Café unten in Perlova getroffen hatten, einem etwas zwielichtigen Stadtviertel mit Prostituierten und mehr oder minder gut getarnte n B ordellen. Er saß an der Theke, als wir hereinkamen. Er fiel mir auf, weil er aussah wie ein Boss-Model. Einer dieser reifen, distinguierten Herren. Elegant gekleidet und schon ganz schön alt. Aber mit diesem jungen, verspielten Ausdruck in den Augen, der Männer dazu bringt, besonders gut auf ihre Frauen aufzupassen. Ich war deshalb nicht sonderlich überrascht, als der Mann nach einer Weile an unseren Tisch trat, sich auf Norwegisch vorstellte und uns eine Halskette zum Kauf anbot. Ich lehnte höflich ab. Er zog sie trotzdem aus der Tasche und zeigte sie Lisbeth. Natürlich wurde sie schwach und sagte, dass sie die Kette einfach haben müsse. Der Anhänger war ein roter Diamant in Form eines fünfzackigen Sterns. Ich fragte ihn, was er für den Schmuck haben wolle, und er nannte mir einen Preis, der so lächerlich hoch war, dass ich das nur als Provokation auffassen konnte. Ich bat ihn zu gehen. Er lächelte mich triumphierend an, als habe er gerade einen Sieg errungen, schrieb die Adresse eines anderen Cafés auf einen Zettel und sagte, dass wir am nächsten Tag um die gleiche Zeit dorthin kommen könnten, sollten wir es uns anders überlegen. Natürlich gab er Lisbeth den Zettel. Ich weiß noch, dass ich den Rest des Vormittags schlechte Laune hatte. Doch dann habe ich das Ganze wieder vergessen. Lisbeth ist gut darin, einen gewisse Sachen vergessen zu lassen. Manchmal gelingt es ihr … « Barli wischte sich mit dem Finger unter dem Auge entlang, » … einfach durch ihre bloße Anwesenheit. «
    » Hmm, was stand in dem anderen Brief? «
    » Das war ein Brief, den sie selbst geschrieben und ihm zu schicken versucht hatte. Auf dem Umschlag war ein Retour -S tempel. Sie schrieb darin, sie habe auf jegliche nur erdenkliche Art versucht, ihn zu erreichen.

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