Das fünfte Zeichen
wartete. Sekunden verstrichen. Nichts geschah.
Dann senkte er die Waffe und richtete sich auf.
Ging zur Tür und begegnete Tom Waalers gebrochenem Blick. Seine Augen hatten einen milchigen Schleier. Harry drehte sich um und blickte ins Dunkel. Worauf immer Tom gestarrt hatte, es war verschwunden.
Harry stand still und spürte seinen Puls hartnäckig und rege l mäßig schlagen. Tick, tick. Was bedeutete das schon. Nur, dass er am Leben war. Weil der Mann auf der anderen Seite der Tür tot war. Dass er die Tür aufschließen, ihm die Hand auf die Haut legen und verfolgen konnte, wie ihn die Wärme langsam verließ, spüren, wie die Haut sich veränderte, die Stofflichkeit des Lebens verlor und zur bloßen Hülle wurde.
Harry legte die Stirn an Tom Waalers Stirn. Das kalte Glas zwischen ihnen brannte wie Eis auf seiner Haut.
KAPITEL 44
Nacht auf Dienstag. Gemurmel
S ie hielten bei Rot am Alexander Kiellands Plass.
Die Scheibenwischer kämpften sich nach rechts und links. In anderthalb Stunden würde es dämmern. Doch noch war es Nacht, und die Wolken lagen wie eine graue Persenning über der Stadt.
Harry saß auf dem Rücksitz, den Arm um Oleg gelegt.
Eine Frau und ein Mann taumelten ihnen auf dem verlassenen Bürgersteig der Waldemar Thranes Gate entgegen. Es war eine Weile her, seit Harry, Sven und Oleg den Aufzug verlassen hatten und hinaus in den Regen zu der dicken Eiche gegangen waren, die Harry vom Fenster aus gesehen hatte. Das Gras war dort noch trocken. Sie hatten sich hingesetzt, und Harry hatte als Erstes beim Dagbladet angerufen, mit dem Redakteur vom Dienst gesprochen. Dann hatte er Bjarne Møllers Nummer gewählt, ihm erzählt, was passiert war, und ihn gebeten, Øystein Eikeland aufzuspüren. Zum Schluss hatte er Rakel geweckt. Zwanzig Minuten später war der Platz vor dem Wohnheim vom Blaulicht der Polizei und den Blitzlichtern der Presse erhellt, die wie immer eine perfekte Symbiose bildeten.
Harry, Oleg und Sven waren unter der Eiche sitzen geblieben. Hatten zugesehen, wie sie hastig durch die Tür des Wohnheims ein und aus gingen.
Dann hatte Harry seine Zigarette ausgedrückt.
» Ja, ja «, hatte Sven gesagt.
»› Character ‹«, hatte Harry gesagt.
Und Sven hatte genickt und gesagt: » Hatte ich vergessen. «
Dann waren sie langsam über den Vorplatz geschlendert, und Bjarne Møller war ihnen entgegengestürmt und hatte sie in einen Polizeiwagen gesetzt.
Zuerst waren sie zu einem kurzen Verhör ins Präsidium g e bracht worden. Zum Debriefing, wie Møller das rücksichtsvoll genannt hatte. Als Sven Sivertsen ins Gefängnis gebracht werden sollte, hatte Harry darauf bestanden, zwei Leute vor der Tür zu postieren. Møller hatte ihn etwas überrascht gefragt, ob er die Fluchtgefahr wirklich für so groß halte. Harry hatte wortlos den Kopf geschüttelt, und Møller war seinem Wunsch ohne weiteres nachgekommen.
Dann hatten sie einen Wagen der Schutzpolizei bestellt, um Oleg nach Hause bringen zu lassen.
Die Ampel piepte schrill, als das Pärchen die Kreuzung an der Uelands Gate überquerte. Die Frau hatte sich offensichtlich die Jacke des Mannes geliehen und hielt sie sich über den Kopf. Dem Mann klebte das Hemd am Körper, und er lachte laut. Harry kamen die beiden irgendwie bekannt vor.
Es wurde grün.
Er sah ein paar rote Haare unter der Jacke hervorblitzen, ehe die beiden verschwanden.
Als sie durch Vinderen fuhren, hörte es plötzlich zu regnen auf. Wie auf einer Theaterbühne glitten die Wolken auseinander, und ein zunehmender Mond schien vom schwarzen Himmel über dem Oslofjord auf sie herab.
» Endlich «, sagte Møller und drehte sich lächelnd auf dem Beifahrersitz um.
Harry dachte, er meinte den Regen.
» Du bist ja ein mutiger Junge. « Møller tätschelte Olegs Knie, und der Junge lächelte blass und sah Harry an.
Møller drehte sich wieder nach vorn. » Die Magenschmerzen sind weg «, sagte er. » Wie aus heiterem Himmel. «
Sie hatten Øystein Eikeland an dem Ort gefunden, an den sie Sven Sivertsen gebracht hatten. In Untersuchungshaft. Laut der Papiere von Groth hatte Tom Waaler Øystein we gen des Verdachts auf Trunkenheit am Steuer eines Taxis verhaftet. Die Blutprobe hatte auch tatsächlich eine geringe Menge Alkohol ergeben. Als Møller befahl, Eikeland ohne Formalitäten mit sofortiger Wirkung zu entlassen, hatte Groth überraschende r weise keinerlei Einwände vorgebracht, sondern sich sehr entge genkommend gezeigt.
Rakel wartete in der Tür,
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