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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Briefzentrum nach Größe sortiert, so dass der braune, gepolsterte Umschlag in einer Wanne mit anderen Briefen im Format C5 abgelegt wurde. Der Umschlag ging durch viele Hände, doch auch als die Post nach Regionen sortiert und er zunächst in dem Fach für die Region Østlandet, dann unter der Postleitzahl 0032 abgelegt wurde, fiel er niemandem besonders auf.
    Erst in der Nacht, die meisten Leute schliefen schon, lag der Brief endlich wieder in einem Postsack hinten in einem roten Auto, bereit für die Auslieferung am nächsten Tag.
     
    » Es wird alles wieder gut «, sagte der Junge und fuhr dem Mädchen mit dem runden Gesicht über den Kopf. Er spürte, wie ihre langen, dünnen Haare an seinen Händen kleben blieben. Elektrisch.
    Er war elf Jahre alt. Sie war sieben und seine kleine Schwe s ter. Sie hatten ihre Mutter im Krankenhaus besucht. Der Aufzug kam, und er öffnete die Tür. Ein Mann in einem weißen Anzug schob das Gitter zur Seite, lächelte ihnen kurz zu und trat heraus. Sie gingen hinein.
    » Warum ist der Fahrstuhl so alt? «, fragte das Mädchen.
    » Weil es ein altes Haus ist «, sagte der Junge und zog das Gitter hinter sich zu.
    » Ist das ein Krankenhaus? «
    » Nicht ganz «, sagte er und drückte den Knopf für das Erdg e schoss. » Das ist ein Haus, in dem Menschen Ruhe finden, die sehr müde sind. «
    » Ist Mama sehr müde? «
    » Ja, aber es wird alles wieder gut werden. Du darfst dich nicht an die Tür lehnen, Søs. «
    » Was? «
    Der Fahrstuhl ruckelte beim Anfahren und ihre langen, blo n den Haare bewegten sich. Elektrisch, dachte er und beobachtete, wie sie langsam hoch stiegen. Ihre Hände zuckten zu den Haaren, und sie schrie. Ein hoher, schriller Schrei, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ihre Haare hingen fest. Draußen im Gitter. Sie mussten sich in der Fahrstuhltür verfa n gen haben. Er versuchte sich zu bewegen, doch er war wie gelähmt.
    » Papa! «, schrie sie und stellte sich auf die Zehenspitzen.
    Doch Papa war vorausgegangen, um das Auto vom Parkplatz zu holen.
    » Mama! «, schrie sie, als sie vom Boden abhob.
    Doch Mama lag im Bett und lächelte blass vor sich hin. Nur er war da.
    Sie strampelte mit den Beinen in der Luft, während sie sich an ihr Haar klammerte. » Harry! «
    Nur er. Nur er konnte sie retten. Wenn er sich bloß rühren könnte.
    » Hilfe! «
    Mit einem Ruck richtete sich Harry im Bett auf. Sein Herz raste wie ein Trommelwirbel.
    » Verflucht! «, hörte er seine eigene, heisere Stimme und ließ den Kopf wieder auf das Kissen sinken.
    Graues Licht fiel durch den Spalt zwischen den Gardinen. Er blinzelte. Die roten Digitalzahlen auf dem Nachttisch zeigten 4.12 Uhr. Sommernachtshölle. Albtraumhölle.
    Er hievte sich aus dem Bett und ging aufs Klo. Der Urin spritzte ins Wasser, während er in die Luft starrte. Er wusste, er würde nicht wieder einschlafen können.
    Der Kühlschrank war leer, abgesehen von einer Flasche alk o holfreiem Bier, die aus Versehen in seinem Einkaufswagen gelandet war. Er öffnete den Schrank über dem Küchentisch. Ein Heer von Bier-und Whiskeyflaschen in » Habt -A cht-Stel lung «. Alle leer. In einem plötzlichen Wutanfall stieß er sie um. Noch als er den Schrank wieder geschlossen hatte, hörte er es drinnen klirren. Er sah erneut auf die Uhr. Es war Freitagmo r gen. Freitag, also neun bis achtzehn Uhr. Das Weinmonopol öffnete erst in fünf Stunden.
    Harry setzte sich ans Telefon im Wohnzimmer und wählte Øystein Eikelands Handynummer.
    » Oslo Taxi. «
    » Na, wie fließt der Verkehr? «
    » Harry? «
    » Guten Abend, Øystein. «
    » Weiß nicht, ob das ein guter Abend ist. Hab schon seit ’ ner halben Stunde keine Fahrt mehr gehabt. «
    » Urlaubszeit. «
    » Ich weiß. Der Taxenbesitzer ist in seiner Hütte in Kragerø und hat mir Oslos abgewrackteste Karre überlassen. Und Nordeuropas langweiligste Stadt. Sieht fast so aus, als hätt jemand ’ ne Neutronenbombe gezündet. «
    » Ich dachte, dir wäre es ganz recht, wenn du nicht ins Schwi t zen gerätst bei der Arbeit. «
    » Mann, ich schwitze wie ein Schwein! Dieser Geizkragen hat ein Auto ohne Klimaanlage gekauft. Mensch, ich muss nach der Schicht immer wie ein Kamel saufen, allein schon um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Das ist ganz schön teuer. Gestern habe ich mehr versoffen, als ich tagsüber verdient habe. «
    » Das tut mir wirklich Leid für dich. «
    » Ich sollte mich lieber an das Knacken von Codes halten. «
    » Du meinst dein

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