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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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autom a tisch die Schulterblätter zusammengedrückt, wie Petter es ihr empfohlen hatte, als sie noch im Head On arbeitete. Es war ein Reflex geworden.
    Jeder protzt eben, womit er kann. Das hatte Barbara Svendsen jedenfalls gelernt. Zum Beispiel dieser Fahrradkurier, der gerade hereingekommen war. Sie wettete, dass er ohne Helm, Brille und Mundschutz kein hübscher Anblick war. Genau deshalb hatte er wohl alles anbehalten. Er hatte nur gemurmelt, er wisse, in welches Büro das Päckchen müsse, und war in seiner eng sitzenden Fahrradhose langsam den Flur entlanggegangen, so dass sie seinen durchtrainierten Hintern ausgiebig betrachten konnte. Oder die Putz frau, die bald kommen musste. Sie war vermutlich Buddhistin oder Hinduistin oder was auch immer, und Allah hatte ihr gesagt, sie müsse ihren Körper unter einem Berg sackartiger Kleider verstecken. Aber sie hatte eine Reihe gepflegter Zähne, und was tat sie? Genau: Sie grinste die ganze Zeit über wie ein Krokodil auf Ecstasy. Stolz, so stolz.
    Barbara blickte einmal mehr auf den Sekundenzeiger der Uhr, als die Tür aufging.
    Der Mann, der hereinkam, war recht klein und rundlich. Er atmete schwer, und seine Brille war beschlagen. Barbara nahm an, er habe die Treppe genommen. Vor vier Jahren hatte sie einen Zweihundert-Euro-Anzug von der Stange noch nicht von einem der Marke Prada unterscheiden können, doch mit der Zeit hatte sie gelernt, Kleidung einzuschätzen. Auch Schlipse, und –als wichtigstes Maß für ihre Einsatzfreude: Schuhe.
    Der Neuankömmling sah nicht besonders beeindruckend aus, als er sich keuchend die Brille putzte. Doch wenn man nach den Kleidern urteilte –und das sollte man –, gaben der schmal gestreifte, leichte Anzug, der Seidenschlips und die handgenä h ten Schuhe durchaus Grund zur Hoffnung, dass Halle, Thune und Wetterlid bald einen interessanten Neukunden haben würden.
    » Guten Tag, kann ich Ihnen helfen? «, fragte sie und lächelte ihr zweitbestes Lächeln. Das Beste war für den Tag reserviert, an dem der Mann ihrer Träume die Kanzlei betrat.
    » Ja, das hoffe ich «, sagte der Mann mit einem Lächeln, zog ein Taschentuch aus der Brusttasche und tupfte sich die Stirn. » Ich muss zu einer Besprechung, aber wären Sie so freundlich, mir erst ein Glas Wasser zu bringen? «
    Barbara meinte, den Anflug eines ausländischen Akzents herauszuhören, doch es gelang ihr nicht, ihn einzuordnen. Seine höfliche, gleichzeitig fordernde Art hatte sie allerdings in ihrem Urteil bestärkt, dass sie da einen großen Fisch an der Angel hatten.
    » Natürlich «, antwortete sie. » Einen Augenblick. «
    Hatte Wetterlid nicht vor kurzem etwas von einem Bonus für alle Angestellten gesagt? Wenn sie in diesem Jahr einen guten Abschluss machten? Dann könnte sich die Firma gewiss diese Wasserspender leisten, die sie anderswo gesehen hatte. Da geschah, ohne jede Vorwarnung, etwas Merkwürdiges. Die Zeit beschleunigte, machte einen Sprung. Nur ein paar Sekunden, dann war die Zeit wieder so langsam wie zuvor. Dennoch fühlte es sich für Barbara an, als wären ihr diese Sekunden auf unerklärliche Weise genommen worden.
    Sie ging in die Damentoilette und drehte den Wasserhahn über einem der drei Becken auf. Nahm einen weißen Plastikbecher aus einer der Halterungen und wartete. Sie hielt einen Finger in den Wasserstrahl. Lauwarm. Da musste sich der Mann dort draußen halt ein wenig in Geduld üben. Im Radio hatten sie gesagt, die Wassertemperatur der Seen in der Nordmarka betrage jetzt bereits zweiundzwanzig Grad. Und trotzdem, wenn man es nur lange genug laufen ließ, wurde das Trinkwasser aus dem Maridalsvannet kalt und erfrischend. Wie das möglich war? Sie starrte auf ihren Finger. Wenn das Wasser gleich kalt genug war, würde ihr Finger weiß und beinahe taub werden. Der linke Ringfinger. Wann er wohl einen Ehering bekommen würde? Hoffentlich bevor ihr Herz weiß und gefühllos wurde. Sie spürte einen Lufthauch, doch er ebbte sofort wieder ab, so dass sie sich nicht umdrehte. Das Wasser war noch immer warm. Und die Zeit verging. Rann davon wie das Wasser. Unsinn. Es waren mehr als zwanzig Monate, bis sie dreißig wurde, sie hatte noch Zeit genug.
    Ein Geräusch ließ sie aufblicken. Im Spiegel sah sie die Türen der beiden weißen Toiletten. War jemand hereingekommen, ohne dass sie es bemerkt hatte?
    Sie erschrak beinahe, als das Wasser endlich kalt wurde. Tiefe Abgründe unter der Erde. Das musste es sein, deshalb war es so kalt. Sie hielt

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