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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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den Becher unter den Wasserstrahl.
    Er füllte sich rasch bis zum Rand, als ob er spürte, dass sie sich beeilen musste, rasch hinauswollte.
    Sie drehte sich um und ließ den Becher fallen.
    » Habe ich Sie erschreckt? «
    Die Stimme hörte sich aufrichtig bekümmert an.
    » Entschuldigung «, sagte sie und vergaß, die Schulterblätter zusammenzuziehen. » Ich bin heute etwas schreckhaft. « Sie bückte sich, um den Becher aufzuheben, und fügte dann hinzu: » Sie sind auf der Damentoilette. «
    Der Becher war herumgehüpft und in aufrechter Stellung zur Ruhe gekommen. Es war sogar noch Wasser darin, und als sie ihre Hand ausstreckte, tanzte ihr Spiegelbild auf der kreisru n den, weißen Oberfläche. Neben dem Gesicht, ganz am Rand der kleinen Wasserfläche, konnte sie eine Bewegung ausmachen. Und dann begann die Zeit wieder langsamer zu vergehen. Unendlich langsam. Ihr letzter Gedanke war, dass ihre Zeit wohl gerade endgültig ablief.

 
    KAPITEL 1 5
Montag. Vena amoris
    H arrys weiß-und-rostroter Ford Escort hielt vor dem Fernsehg e schäft. Zwei Polizeiwagen und Waalers roter Sportwagen standen wie zufällig auf den Gehwegen rund um die nachmittä g lich stille Kreuzung mit dem vornehmen Namen Carl Berners Plass.
    Harry parkte, nahm das grüne Stemmeisen aus der Jackent a sche und legte es auf den Beifahrersitz. Da er die Autoschlüssel in der Wohnung nicht finden konnte, hatte er Draht und Stem m eisen mitgenommen, die Nachbarschaft abgesucht und sein treues Auto schließlich in der Stenberggata gefunden. Natürlich steckte der Schlüssel im Zündschloss. Das grüne Stemmeisen war bestens dazu geeignet, die Tür so weit aufzudrücken, dass er den Türknopf mit dem Draht hochziehen konnte.
    Harry ging bei Rot über die Ampel. Langsam. Sein Körper ließ kein schnelles Tempo zu. Bauch und Kopf schmerzten, und das verschwitzte Hemd klebte ihm am Rücken. Es war fünf vor sechs, und er war bisher ohne Medizin ausgekommen, doch er machte sich keine falschen Hoffnungen.
    Auf der Informationstafel im Flur neben der Tür war die Anwaltskanzlei Halle, Thune und Wetterlid im fünften Stock vermerkt. Harry stöhnte. Warf einen Blick auf den Fahrstuhl. Metalltüren. Ohne Gitter.
    Als ihn die blanken Metalltüren in dem Aufzug der Marke KONE einschlossen, fühlte er sich wie in einer luftdicht verschweißten Dose. Harry versuchte, nicht auf die Geräusch e z u achten, die der Fahrstuhlmotor von sich gab. Er schloss die Augen. Öffnete sie sofort wieder, als das Bild von Søs auf der Innenseite seiner Augenlider auftauchte.
    Ein uniformierter Beamter der Schutzpolizei öffnete ihm die Eingangstür der Kanzlei.
    » Sie ist da drin «, sagte er und deutete links vom Empfang s tisch den Flur hinunter.
    » Wo ist die Spurensicherung? «
    » Unterwegs. «
    » Die würden sich sicher freuen, wenn Sie den Fahrstuhl und die Tür unten abriegeln würden. «
    » Okay. «
    » Ist jemand von der Wache gekommen? «
    » Li und Hansen. Sie haben alle, die noch in der Kanzlei waren, zum Verhör in einen Raum gebracht. «
    Harry ging über den Flur. Die Teppiche waren abgenutzt und die Reproduktionen der norwegischen Romantiker verblichen. Die Firma hatte offensichtlich schon bessere Zeiten erlebt. Vielleicht.
    Die Tür zur Damentoilette war nur angelehnt und zwei Tepp i che dämpften das Geräusch von Harrys Schritten so weit, dass er schon im Näherkommen Tom Waalers Stimme hörte. Harry blieb unmittelbar vor der Tür stehen.
    Waaler schien zu telefonieren: » Wenn die von dem ist, geht er anscheinend nicht mehr über uns. Ja, aber überlass das mir. «
    Harry schob die Tür auf. Waaler hockte auf dem Boden. Er blickte auf.
    » Hallo, Harry. Ich bin gleich fertig. «
    Harry blieb auf der Türschwelle stehen und nahm die Szene in sich auf, während er dem fernen Knistern einer Stimme in Waalers Telefon lauschte.
    Der Raum war überraschend groß, etwa vier mal fünf Meter, und bestand aus zwei weißen Toilettenkabinen und drei weißen Waschbecken unter einem länglichen Spiegel. Die Leuchtstof f röhren an der Decke warfen ein hartes Lich t a uf die weiß getünchten Wände und Fliesen. Die Abwesenheit jeder Farbe war beinahe auffällig. Vielleicht wirkte deshalb die Leiche wie ein kleines, sorgfältig arrangiertes Kunstwerk. Die Frau war jung und schlank. Sie lag auf den Knien, die Stirn auf dem Boden, wie eine Muslimin im Gebet, nur dass die Arme unter ihrem Körper verborgen waren. Das Kleid war hochgeschoben bis über ihren Slip,

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