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Das fünfte Zeichen

Titel: Das fünfte Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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guckst du denn so, du Schlange? «, murmelte er, und im nächsten Augenblick rauschte das Bild an der Wand nach unten und knallte auf den Boden. Glas zersplitterte.
    Harry starrte Ellen an, die ihn unbeirrt aus dem kaputten Rahmen anlächelte. Er hielt sich die rechte Hand, wo die Schmerzen unter der Bandage pochten.
    Erst als er sich umdrehte, um die Archivschublade zu öffnen, wurde er auf die zwei aufmerksam, die in der Tür standen. Er begriff, dass sie schon eine Weile dort gestanden haben mussten. Und dass es ihr Spiegelbild gewesen sein musste, das er als Bewegung wahrgenommen hatte.
    » Hallo «, sagte Oleg. In seinem Blick lag eine Mischung aus Verwunderung und Entsetzen.
    Harry schluckte und ließ die Schublade los. » Hallo, Oleg. «
    Oleg trug Joggingschuhe, eine blaue Hose und das gelbe Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft. Harry wusste, dass er eine Neun auf dem Rücken hatte, mit dem Namen Ronaldo darüber. Er selbst hatte das Trikot eines Sonntags an einer Tankstelle gekauft, als Rakel, Oleg und er zum Skilaufen ins Norefjell gefahren waren.
    » Den habe ich unten getroffen «, sagte Tom Waaler. Er hatte die Hand auf Olegs Kopf gelegt. » Der Junge stand am Empfang und fragte nach dir. Da habe ich ihn mit hochgenommen. Du spielst also Fußball, Oleg? «
    Oleg antwortete nicht. Er sah nur Harry an. Mit diesem dun k len Blick, den er von seiner Mutter hatte, der manchmal so unendlich weich und an anderen Tagen gnadenlos hart sein konnte. Doch in diesem Moment gelang es Harry nicht zu deuten, was in dem Blick lag, dem dunklen Blick.
    » Im Sturm? «, fragte Waaler lächelnd und wuschelte dem Jungen durch die Haare.
    Harry starrte auf die starken, sehnigen Finger seines Kol legen, auf Olegs dunkle Haarsträhnen auf Waalers sonnengebräuntem Handrücken. Ihm wurden die Knie weich.
    » Nein «, sagte Oleg, den Blick noch immer auf Harry gerichtet. » Ich bin Verteidiger. «
    » Du, Oleg «, sagte Waaler und sah Harry fragend an. » Harry ist hier drin gerade beim Schattenboxen. Ich mach das auch manchmal, wenn mich was enorm ärgert. Vielleicht sollten wir beide oben auf die Dachterrasse gehen, um die Aussicht zu genießen, bis Harry ein bisschen aufgeräumt hat. «
    » Ich bleibe hier «, sagte Oleg tonlos.
    Harry nickte.
    » Okay. War nett dich zu treffen, Oleg. « Waaler gab dem Jungen einen Klaps auf die Schulter und verschwand.
    Oleg blieb in der Tür stehen.
    » Wie bist du hierher gekommen? «, fragte Harry.
    » Mit der Straßenbahn. «
    » Alleine? «
    Oleg nickte.
    » Weiß Rakel, dass du hier bist? «
    Oleg schüttelte den Kopf.
    » Willst du nicht reinkommen? « Harry hatte einen Kloß im Hals.
    » Ich will, dass du zu uns nach Hause kommst «, sagte Oleg.
     
    S ekunden nachdem Harry die Klingel gedrückt hatte, riss Rakel die Tür auf. Ihre Augen waren schwarz und ihre Stimme schrill: » Wo warst du? «
    Einen Moment lang empfand Harry es so, als sei die Frage an sie beide gerichtet gewesen, bis ihr Blick über Harry hinwe g huschte und an Oleg hängen blieb.
    » Ich hatte keinen zum Spielen «, sagte Oleg und schaute zu Boden. » Ich bin mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren. «
    » Mit der Straßenbahn? Alleine? Aber wie … « Ihre Stimme versagte.
    » Ich hab mich weggeschlichen «, sagte Oleg. » Ich … Mama, ich dachte, du würdest dich … freuen. Du hast doch gesagt, dass du auch willst, dass … «
    Mit einer plötzlichen Bewegung zog sie Oleg an sich. » Kannst du dir vorstellen, was für eine Angst ich hatte, Junge? «
    Sie sah Harry an, während sie Oleg umarmte.
     
    H arry und Rakel standen am Zaun im hinteren Teil des Gartens und blickten über die Stadt und den Fjord. Sie schwiegen. Segelboote zeichneten sich als winzige weiße Dreiecke auf dem blauen Meer ab. Harry drehte sich zum Haus um. Schmetterli n ge erhoben sich aus dem Gras und flatterten zwischen den Apfelbäumen vor den geöffneten Fenstern herum. Es war ein großes Haus aus schwarzen Holzbalken. Ein Haus für den Winter, nicht für den Sommer.
    Harry schaute sie an. Sie war barfuß und trug eine dünne rote Baumwolljacke über dem hellblauen Kleid. Auf der nackten Haut unter der Halskette mit dem Kreuz, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, spielte die Sonne in kleinen Schweißperlen. Harry dachte, dass er alles an ihr kannte. Den Geruch der Baumwolljacke. Den sanften Bogen ihres Rückens unter dem Kleid. Den Geschmack ihrer Haut, verschwitzt und salzig. Dass er wusste, was sie sich in dieser Welt

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