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Das fuenfunddreißigste Jahr

Titel: Das fuenfunddreißigste Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Truschner
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Bong wieder, bei der das Glas mit Ornamenten verziert war.
    »Die ist aber schön.«
    »Eine schöne Bong für eine schöne Frau«, sagte Carsten in einer Weise, als wäre er nicht in unserem Alter, sondern ein zwanzig Jahre älterer, väterlicher Freund.
    Ulrike verzog spöttisch den Mund – ein Zwischenspiel, das mich dazu bewegte, Sonja auf die Wange zu küssen.
    »Vorsicht, bitte«, sagte Steffen. »Das ist ein Einzelstück.«
    »Wo hast du das Ding her?«, fragte Alex.
    »Aus Bangalore. Als ich mit Didi unterwegs war. Sein Möbelgeschäft läuft blendend, er importiert die Sachen inzwischen tonnenweise.«
    »Tische, die immer wackeln, und Laden, die immer klemmen. Das Einzige, was da passt, ist der Schnitt, den er macht.«
    »Aber schön sind sie«, sagte Ulrike, die selbst eine Kommode aus Indien zuhause stehen hatte.
    »Schön …«, wiederholte Alex, als handelte es sich um ein Wort, das er seit seiner Kindheit nicht mehr gehört hatte.
    »Du sagst das so, als ob das etwas Negatives wäre.«
    Alex sah zu Sonja hinüber. Im Gegensatz zu Carsten hätte ich bei ihm nicht sagen können, ob sie ihm gefiel. Schönheit stellte für ihn in Bezug auf Frauen keine entscheidende Kategorie dar. Er musste sie cool oder scharf finden, damit Leben in ihn kam. Nach der Skala seines Gesichts zu urteilen, hatte Sonja einen Ausschlag in ihm verursacht – aber keinen, der ihn dazu veranlassen konnte, länger als für ein paar Augenblicke den engen Radius seiner Rolle zu verlassen. Er lächelte sie freundlich an und dachte dabei vielleicht an einen bestimmten Coffeeshop in Amsterdam oder die Zeit, die seit seiner letzten Dusche vergangen war. Die Erde musste die beste aller Welten für ihn sein, da sich angesichts der Bilder, die über Sonden und Satelliten aus der Kälte des Alls zu uns drangen, kein anderer Ort abzeichnete, an dem der Trägheit von Lebewesen ein derart weiches Bett bereitet wurde. Als ob er meine Gedanken lesen könnte, leckte er mit der Zunge über den Rand des Zigarettenpapiers, das Tabak und Gras umschloss, zwirbelte es am vorderen Ende zusammen und reichte mir meinen Joint.
    »Also, ich finde es sehr schön, wenn Tische nicht wackeln, auf denen ich essen oder arbeiten will«, sagte Carsten.
    »Ich versteh schon, dass das angenehm für dich ist. Dass man’s bequem hat, ist ja auch wichtig. Für manche ist das wichtiger als alles andere«, sagte Sonja und sah Carsten dabei in die Augen. Als Schauspielerin schlüpfte sie in verschiedene Rollen, als Physiotherapeutin half sie den Menschen, sich zu entspannen und gesund zu werden. Dennoch hatte sie etwas Strenges an sich, schien insgeheim über ein Wissen darüber zu verfügen, was richtig und falsch war. Obwohl das anmaßend war, vielleicht sogar lächerlich, übte es auf jemanden wie mich, der allem zweifelnd gegenüberstand und sich für nichts so recht entscheiden konnte, eine hohe Anziehungskraft aus.
    Carsten stand der Mund offen, obwohl er ihn geschlossen hielt. Alex kicherte in sich hinein und ließ sich in die Kissen fallen, die hinter ihm am Boden lagen. Ulrike beschäftigte sich mit ihrem Joint. Micha hielt sich vielleicht an irgendetwas fest, das unsichtbar, für ihn dennoch realer war als die Umgebung, in der er sich befand. Steffen war unerschütterlich. Wir waren nur Trabanten in seiner Umlaufbahn.
    Sonja presste den Mund gegen die zylinderförmige, mit Wasser gefüllte Bong. Sie hielt das Kickloch zu, entzündete den Kopf von neuem und sog kräftig an der Bong. Der Rauch des glimmenden Stoffs wurde in den gläsernen Zylinder gezogen, das Wasser blubberte. Als die Bong vollständig mit Rauch gefüllt war, atmete Sonja tief durch die Nase. Sie öffnete das Kickloch und atmete den Rauch ein. Mittendrunter zog sie jedoch den Kopf zurück.
    »Mensch, das musst du hitten«, rief Alex, obwohl er gerade selbst konzentriert eine Riesentüte baute. »In einem Zug.«
    »Das Zeug ist richtig stark, das bin ich nicht gewohnt. Ich geh die Sache lieber langsam an.«
    »Das ist doch öd, wenn man die Kontrolle behalten will. Wozu kifft man dann?«
    Während »das Zeug« andere verstummen ließ, antriebslos machte, konnte es bei Alex das Gegenteil bewirken. Er wurde wach, suchte das Gespräch und fand Gefallen an der von Argumenten gespeisten Logik von Rede und Widerrede. Auch wenn diese Phase wieder verging, seine Zunge schwer wurde und seine Mundwinkel wieder herabhingen: Es machte Spaß, ihn so zu erleben. So war er zu Beginn des Studiums gewesen, bevor das

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