Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
überhaupt keine Rolle zu spielen, wie sehr er versuchte, das Richtige zu tun: Alles, was er anfing in seinem Leben, jeder Schritt, jede Entscheidung war irgendwie unausweichlich, geradezu magnetisch dazu angetan, ihn zu verfolgen. Wie viel Selbstvorwürfe und Reue konnte ein einzelner Mensch ertragen?
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Während er in das Vorzimmer ging, schob er sich den Browning hinten in den Hosenbund. «Wer ist da?», fragte er misstrauisch.
«Das Essen, das Sie bestellt hatten, Monsieur ’arris», antwortete die gedämpfte Stimme von Joseph, dem Pagen. «Und der Champagner.»
«Ich habe keinen Champagner bestellt.» Ben öffnete die Tür einen Spaltbreit, die freie Hand in der Nähe der Stelle, wo die Pistole kalt gegen seine Haut drückte. Als er den schrumpligen alten Mann erblickte, der mit dem Servierwagen allein vor der Tür stand, entspannte er sich und öffnete die Tür ganz.
«Monsieur, der Champagner ist gratis», erklärte Joseph, als er den Wagen in das Zimmer rollte. «Er gehört zur Suite dazu.»
«Danke sehr, lassen Sie einfach alles hier stehen.»
Das gewaltige Trinkgeld von vorhin und die Aussicht auf mehr davon schienen den Alten zu beflügeln, als er den Wagen hereinrollte. Es gab verschiedene Sorten Fleisch und Käse, dazu frisches Baguette und Champagner auf Eis. Ben dankte Joseph, gab ihm noch mehr Geld und brachte ihn nach draußen. Danach versperrte er die Tür.
Der Champagner hellte ihre Stimmung ein wenig auf. Gleichwohl aßen sie schweigend. Im Radio spielte leiser Soft Jazz. Als sie die Flasche leer hatten, war es fast Mitternacht. Ben nahm ein Kissen vom Bett und warf es auf das Ledersofa beim Fenster, auf der anderen Seite des Zimmers. Dann zog er ein paar Reservedecken aus dem Schrank und machte sich damit ein improvisiertes Nachtlager.
Das Radio spielte inzwischen ein altes Lied von Édith Piaf. Roberta trat zu ihm. «Ben, würdest du mit mir tanzen?»
Er starrte sie an. «Tanzen? Du willst tanzen ?»
«Bitte. Ich liebe dieses Lied.» Sie nahm seine Hände und lächelte unsicher, als sie spürte, wie er sich innerlich verspannte.
«Ich kann nicht tanzen», meinte er.
«Ja, sicher, das sagt ihr alle.»
«Nein, wirklich nicht. Ich habe nie tanzen gelernt. Ich habe noch nie getanzt.»
«Noch nie?»
«Noch nie im Leben.»
Roberta machte ein paar Tanzschritte mit ihm. An seinen hölzernen, ungelenken Bewegungen merkte sie, dass er die Wahrheit gesagt hatte.
Sie sah zu ihm hoch. «Keine Sorge, ich zeig es dir. Nimm einfach meine Hand und entspann dich, okay?» Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und gab ihm die andere. «Und jetzt legst du deine freie Hand um meine Taille», forderte sie ihn auf.
Seine Hand war steif. Sie bewegte sich mit ihm, und er bemühte sich, ihren Bewegungen zu folgen und ihre Schritte zu imitieren.
«Siehst du? Lass dich vom Rhythmus tragen.»
«Okay», sagte er zögernd.
Das Lied endete, um gleich darauf vom nächsten abgelöst zu werden: La Vie en Rose .
«Oh, das ist auch wunderschön. Okay, weiter geht’s … Genau, so ist es gut … Macht es dir Spaß?»
«Ich weiß nicht … Vielleicht.»
«Ich glaube, du könntest ein richtig guter Tänzer werden, wenn du dich mehr entspannen würdest. Autsch, mein Fuß.»
«Entschuldige. Ich hatte dich gewarnt.»
«Du denkst zu viel dabei.»
Ein einfacher Tanz reichte aus, um eine Million widersprüchlicher Emotionen in ihm zu wecken. Es war ein eigentümliches Gefühl, und er vermochte nicht zu sagen, ob es ihm gefiel oder nicht. Eine warme, einladende Welt schien ihm zuzuwinken. Er wollte sie umarmen, die Wärme in sein Herz aufnehmen nach so vielen Jahren der Einsamkeit und Kälte. Und doch – in dem Augenblick, in dem er spürte, wie er nachgab, versteifte er sich, und irgendwo in seinem Innern senkte sich eine Barriere herab.
«Einen Moment lang dachte ich, du hättest es.»
Er löste sich von ihr. Es war zu viel. Es war, als hätte jemand seinen persönlichen Raum erobert, sich in seiner Zone ausgebreitet, nachdem er jahrelang allein gewesen war. Er warf einen Seitenblick zur Minibar.
Sie bemerkte es. «Nicht, Ben. Bitte.» Sie legte eine warme Hand auf seinen Unterarm.
Er sah auf seine Uhr. «He.» Er lachte nervös. «Es ist schon spät. Wir müssen früh raus morgen.»
«Hör jetzt nicht auf», murmelte sie. «Es ist so schön. Komm schon, wir hatten einen scheußlichen Tag. Wir können es beide brauchen.»
Sie tanzten ein wenig
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