Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
offensichtlich den Wunsch, ihr näher zu sein. Sie lächelte ihm erneut zu. «He, wie heißen Sie?»
«A-André», antwortete er nervös.
«André, kommen Sie doch bitte ein wenig näher, nur einen Moment, ja? Ich brauche Ihre Hilfe.»
Der hagere Bursche warf einen gehetzten Blick über die Schulter, obwohl niemand in der Nähe war. «Was wollen Sie?», murmelte er misstrauisch.
«Ich hab einen Ohrring verloren», sagte sie. Das entsprach der Wahrheit. Irgendwo zwischen hier und dem Hotel musste er sich vom Ohr gelöst haben. Sie deutete auf den dunklen, in tiefem Schatten liegenden Boden. «Er ist hier runtergefallen, auf Ihrer Seite. Ich kann nicht durch die Stäbe greifen.»
«Fick dich, Miststück. Verarschen kann ich mich selbst.» Er wandte sich enttäuscht ab.
«Bitte, André. Er ist antik. Vierundzwanzigkarätiges Gold. Er ist eine Menge wert.»
Das erweckte sein Interesse. Er zögerte, dann schob er die Maschinenpistole auf den Rücken und näherte sich ihrer Zelle. Er ließ sich auf die Knie sinken und suchte im Staub. «Wo ungefähr?»
Roberta kniete sich ebenfalls hin und sah ihm durch die Gitterstäbe hinweg in die Augen. «Hier irgendwo, glaube ich … Vielleicht ein wenig weiter dort … Ja, da ungefähr.»
«Ich kann nichts sehen.» Er scharrte mit den Fingern, im Gesicht zeigte sich ein Ausdruck lebhafter Konzentration. Er kam näher, und ihr stieg der Gestank nach ranzigem Schweiß, vermischt mit billigem Deodorant, in die Nase. Sie wartete, bis sein Kopf die Gitterstäbe fast berührte. Ihr Herzschlag begann zu rasen bei dem Gedanken daran, was sie vorhatte. Seine Aufmerksamkeit war auf den Boden gerichtet. Sie atmete einmal tief durch.
Dann, mit einer plötzlichen Bewegung, packte sie mit beiden Händen seinen Bart. Er zuckte mit einem unterdrückten Schrei zurück, doch sie hielt ihn fest. Sie stemmte die Knie gegen die Stäbe, riss ihn an seinem Bart mit all ihrer Kraft zu sich, und seine knochige Stirn krachte gegen den Stahlkäfig. Er stieß einen schmerzerfüllten Laut aus und packte ihre Handgelenke. Sie warf sich mit aller Macht nach hinten und schlug seinen Kopf ein zweites Mal gegen die Stäbe. Er sackte zu Boden, halb betäubt, doch immer noch nicht ganz bewusstlos. Sie vergrub die Finger in seinen fettigen Haaren und bekam eine Handvoll zu packen. Mit gedankenloser Brutalität, die aus der Verzweiflung geboren wurde, hämmerte sie seinen Kopf wieder und wieder auf den Betonfußboden, bis der Mann aufhörte, zu schreien und sich zu wehren. Er lag reglos da, und Blut troff aus seiner gebrochenen Nase.
Sie ließ ihn los und sank zurück. Sie war außer Atem, und der Schweiß brannte in ihren Augen. Dann sah sie den Schlüsselbund an seinem Gürtel und kroch wieder zu ihm. Sie streckte den Arm durch die Gitterstäbe. Doch erst als sie ihren Körper gegen die Käfigstangen presste, schaffte sie es, mit den Fingerspitzen den Karabinerhaken zu lösen. Die ganze Zeit über saß ihr die Angst im Nacken, jemand könnte hereinkommen und sie überraschen. Während sie die verschiedenen Schlüssel am Käfigschloss ausprobierte, starrte sie immer wieder nervös hinauf zu der Stahltür über der Kellertreppe.
Der vierte Schlüssel passte. Sie musste kräftig gegen die Tür drücken, um den reglosen Leib des dürren Wächters zur Seite zu schieben. Dann hob sie die heruntergefallene Maschinenpistole auf und schlang sie sich um den Hals.
«He, wach auf!», rief sie mit gedämpfter Stimme dem Jungen zu und schlug gegen die Gitterstäbe seines Käfigs, doch er rührte sich nicht. Sie überlegte kurz, ob sie die Tür aufschließen und ihn tragen sollte; doch er war zu schwer für sie. Wenn es ihr gelang, allein von hier zu fliehen, würde sie bald mit der Polizei zurückkehren.
Sie rannte durch den Keller zu der Steintreppe. Sie hatte kaum die ersten Schritte nach oben gemacht, als die Stahltür aufschwang. Sie erstarrte.
Ein großer Mann in Schwarz erschien im Rahmen. Ihre Blicke begegneten sich.
Sie kannte diesen Kerl. Ihr Entführer. Ohne eine Sekunde zu zögern, richtete sie die Maschinenpistole auf ihn und drückte ab.
Nichts.
Er grinste breit und kam ihr entgegen. Sie drückte erneut ab – es war vergebens. Die Waffe klemmte wahrscheinlich. Drei weitere Wachen erschienen in der Tür und zielten mit ihren Pistolen auf Roberta.
Und im Gegensatz zu ihr hatte keiner von ihnen vergessen, die Waffe durchzuladen.
Bozza riss ihr die Maschinenpistole aus der Hand. Ihren Faustschlag fing
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