Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
lächelte. «Selbstverständlich.» Sie ging nach oben, um es zu holen. Nach einer Minute kehrte sie zurück und erfüllte den Raum erneut mit dem Duft ihres frischen Parfums. In der Hand hielt sie eine kleine Plastiktüte. «Ich habe es in diese Tüte gelegt, weil es so schmuddelig ist und stinkt», erklärte sie und legte die Tüte behutsam auf den Tisch.
Ben nahm das Notizbuch heraus. Es war ausgefranst und zerfleddert und sah aus, als sei es hundertmal von Blut und Urin durchtränkt worden. Obendrein verströmte es einen scharfen, modrigen Geruch. Ben blätterte durch die Seiten. Die meisten waren leer, abgesehen von den ersten dreißig, die extrem verdreckt waren. Fingerabdrücke und rotbraune Flecken von altem Blut machten das Lesen der Handschrift an manchen Stellen äußerst schwierig.
Das wenige, was zu erkennen war, gehörte zum Eigenartigsten, was Ben jemals gesehen hatte. Die Seiten waren gefüllt mit Fetzen von bizarren Versen. Es waren obskure und anscheinend bedeutungslose Arrangements von Zahlen und Buchstaben. Hingekritzelte Notizen auf Latein, Englisch und Französisch. Rheinfeld war offensichtlich ein gebildeter Mensch gewesen und außerdem ein fähiger Künstler. Hier und da gab es Zeichnungen; einige davon waren nur einfache Skizzen, andere bis ins Detail akribisch gemalte Bilder. Sie sahen in Bens Augen aus wie die alchemistischen Darstellungen, die er in antiken Handschriften gesehen hatte.
Eine der schmuddeligsten und abgegriffensten Seiten von allen zeigte eine vertraute Zeichnung. Es war das Symbol von der Dolchklinge: die beiden sich schneidenden Kreise mit den Sternen darin – das Symbol, von dem Rheinfeld so überaus besessen gewesen war.
Ben nahm den Dolch und verglich die Symbole. «Sie haben recht», sagte er. «Sie unterscheiden sich leicht voneinander.»
Rheinfelds Version war nahezu identisch mit der auf der Dolchklinge – bis auf ein kleines zusätzliches Detail, das man nur schwer erkennen konnte. Es sah aus wie ein winziges Wappen, das einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen und langem Schnabel zeigte, und war genau in der Mitte des sich überschneidenden Bereichs.
«Es ist ein Rabe», stellte Ben fest. «Und ich glaube, ich habe ihn schon einmal gesehen.» Es war das gleiche Symbol, das er am mittleren Vorbau der Kathedrale Notre-Dame in Paris gesehen hatte.
Aber warum hat Rheinfeld das Symbol von der Klinge verändert?
«Hat das alles irgendeine Bedeutung, die Sie erkennen?», fragte er Anna.
Sie zuckte die Schultern. «Eigentlich nicht, nein. Aber wer weiß schon, was in seinem Kopf vorging?»
«Darf ich es auch einmal sehen?», bat Roberta.
Ben reichte ihr das Notizbuch.
«Gütiger Himmel, ist das schmutzig!», rief sie aus und blätterte die Seiten mit sichtlichem Ekel um.
Bens Zuversicht schwand erneut. «Haben Sie irgendetwas von Rheinfeld erfahren?», fragte er Anna in der Hoffnung, wenigstens irgendein kleines Detail ans Licht zu bringen, ein weiteres Puzzlesteinchen.
«Ich wünschte, ich könnte diese Frage bejahen», erwiderte sie. «Als Dr. Legrand mich zum ersten Mal auf diesen eigenartigen, faszinierenden Mann aufmerksam machte, dachte ich, er könnte mich für mein neues Buch inspirieren. Ich litt unter einer Schreibhemmung …» Sie stockte, dann fügte sie unglücklich hinzu: «Ich leide immer noch darunter. Aber sobald ich ihn kennenlernte, tat er mir unendlich leid. Meine Besuche dienten mehr seinem Trost als meiner eigenen Inspiration. Ich kann nicht sagen, dass ich irgendetwas von ihm gelernt hätte. Ich habe nichts weiter als dieses Notizbuch. Ah, und noch eine Sache …»
«Was?», hakte Ben nach.
Anna errötete. «Ich habe etwas … Wie sagt man noch gleich? Etwas Unartiges getan. Bei meinem letzten Besuch im Institut habe ich ein kleines Gerät hineingeschmuggelt, das ich normalerweise benutze, um meine Buchideen zu diktieren. Ich habe meine Unterhaltung mit Klaus aufgezeichnet.»
«Dürfte ich diese Aufzeichnung hören?»
«Ich denke nicht, dass es irgendwie nützen könnte», meinte Anna. «Aber nur zu, Sie dürfen sie gerne hören.» Sie griff hinter sich und nahm einen winzigen Digitalrekorder aus dem Regal. Sie stellte das Gerät auf den Tisch und drückte auf die Wiedergabetaste. Durch den kleinen blechernen Lautsprecher erklang die dunkle, murmelnde Stimme von Klaus Rheinfeld.
Roberta lief ein Schauer über den Rücken.
«Hat er immer deutsch geredet?», fragte Ben.
«Nur wenn er diese Zahlen und Buchstaben aufsagte»,
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