Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
antwortete Anna.
Ben lauschte angestrengt. Rheinfelds Gemurmel klang zunächst leise und monoton wie ein Mantra. «N-6, E-4, I-26 …» Je weiter er kam, desto schriller wurde seine Stimme, bis sie schließlich ganz aufgeregt klang. «… A-11, E-15, N-6, E-4 …» Ben schrieb eifrig mit, bis sich die Sequenz wiederholte. Sie hörten, wie Anna leise sagte: «Klaus … so beruhigen Sie sich doch.»
Rheinfeld stockte für eine Sekunde, dann fuhr er mit veränderter Tonlage fort: « Igne natura renovatur integra … Igne natura renovatur integra … Igne natura renovatur integra … » Er wiederholte die Phrase wieder und wieder, immer schneller und lauter, bis er sich schreiend überschlug und der kleine Lautsprecher verzerrte. Die Aufzeichnung endete mit einem Durcheinander anderer Stimmen.
Anna schaltete den Digitalrekorder mit traurigem Blick ab. Sie schüttelte den Kopf. «An diesem Punkt mussten sie ihm eine Beruhigungsspritze setzen. Er war merkwürdig erregt an jenem Tag. Nichts schien ihn beruhigen zu können. Das war kurze Zeit bevor er sich das Leben nahm.»
«Das war unheimlich», gestand Roberta. «Was bedeutet diese lateinische Phrase?»
Ben hatte sie bereits in Rheinfelds Notizbuch gefunden: in einer Skizze, die einen Kessel mit einer darin kochenden mysteriösen Flüssigkeit und einen bärtigen Alchemisten in langem Kittel zeigte. Der Mann stand neben dem Behälter und beaufsichtigte ihn. In der Darstellung des Kessels hatte Rheinfeld die Worte Igne natura renovatur integra geschrieben. «Mein Latein ist ziemlich eingerostet», gestand Ben. «Irgendwas mit Feuer … Natur …»
«Die ganze Natur wird erneuert durch das Feuer», übersetzte Anna für ihn. «Ein alter alchemistischer Aphorismus, der sich auf den Prozess bezieht, mit dem die Alchemisten Materie umzuwandeln versuchten. Er war wie besessen von dieser Phrase, und wenn er sie skandierte, dann zählte er die Worte an den Fingern ab, etwa so.» Sie imitierte Rheinfelds nervöse, ungeduldige Gesten. «Ich habe nicht die leiseste Idee, wozu das gut sein sollte.»
Roberta hatte sich vorgebeugt, um die Skizze im Notizbuch zu betrachten. Ihre Haare streiften über Bens Hand. Sie zeigte auf die Darstellung. Unter dem Kessel brannte ein wildes Feuer, und darunter standen in fetter Schrift die Buchstaben ANBO. «Anbo …», sagte sie. «Was ist das für eine Sprache?»
«Ich weiß es nicht», erwiderte Anna. «Jedenfalls keine, die ich kenne.»
«Das Notizbuch und die Tonaufzeichnung sind alles, was Sie haben?», fragte Ben.
«Ja.» Anna Manzini stieß einen Seufzer aus. «Das ist alles.»
Dann war es reine Zeitverschwendung, hierherzukommen , dachte er bitter. Das ist meine letzte Chance gewesen.
Anna starrte nachdenklich auf die Zeichnung, die sie von der Gravur der Dolchklinge abgepaust hatte. In ihrem Kopf begann eine Idee Gestalt anzunehmen. Sie war nicht sicher, aber …
Das Telefon läutete. «Entschuldigen Sie bitte», sagte sie und ging, um den Anruf entgegenzunehmen.
«Was denkst du, Ben?», fragte Roberta leise.
«Ich glaube nicht, dass es irgendwo hinführt.»
Sie hörten Anna im Nebenzimmer reden. Sie klang ein wenig verlegen. «Édouard, ich hatte doch gebeten, dass Sie mich nicht mehr anrufen … Nein, Sie dürfen nicht zu mir kommen heute Abend. Ich habe Gäste … Nein, morgen Abend auch nicht.»
«Ich glaube auch nicht», sagte Roberta. «Verdammter Mist.» Sie seufzte und erhob sich, um ziellos durch das Zimmer zu streifen. Dann erweckte etwas ihre Aufmerksamkeit.
Anna beendete ihr Telefonat und kam zu ihnen zurück. «Es tut mir leid», entschuldigte sie sich. «Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung.»
«Probleme?», erkundigte sich Ben.
Anna schüttelte den Kopf und lächelte. «Nichts Wichtiges.»
«Anna, was ist das hier?», fragte Roberta. Sie stand vor einer prächtigen mittelalterlichen Zeichnung, die in einem Rahmen unter Glas an der Wand neben dem Kamin hing. Das gerissene braune Pergament zeigte eine frühe Karte des Languedoc mit alten Ortschaften und Burgen. Entlang der Kartenränder gab es Textabschnitte in Latein und mittelalterlichem Französisch: Es war eine kunstvolle Handschrift, die von einem begabten Kalligrafen stammte. «Wenn das ein Original ist», meinte Roberta, «dann ist es ein Vermögen wert.»
Anna lachte. «Der Amerikaner, der es mir gab, hielt es zuerst auch für unbezahlbar. Bis er feststellen musste, dass die katharische Karte aus dem dreizehnten Jahrhundert, für
Weitere Kostenlose Bücher