Das ganze gleich nochmal
ihr diese Mühe erspart blieb, legte sie Cami in ihr Bettchen, redete beruhigend auf sie ein und hoffte, dass sie gleich einschlafen würde.
Das arme Würmchen war so übermüdet, dass es kaum noch Kraft zum Weinen hatte. Trotzdem schrie es jämmerlich.
Carley öffnete die Windeltasche und holte frische Kleidung, Windeln und ein Fläschchen heraus. Nachdem sie Cami gewickelt hatte, füllte sie im Bad das Fläschchen mit Wasser. Als sie zurückkehrte, stolperte sie über die offene Tasche und hörte es darin klicken. Richtig, sie hatte das gerahmte Foto von Witt in die Seitentasche gesteckt.
Kein Wunder, dass Cami ihn erkannt hatte. Die ganze Zeit hatte dieses Bild auf der Kommode gestanden. Kluges Kind. Houston Smith war der Kleinen nicht fremd. Carley hatte ihr sogar oft gesagt, dass dies ihr Daddy war. Jetzt verstand Carley auch, weshalb ihre Tochter so traurig gewesen war, weil ihr ‘Daddy’ sie nicht erkannt hatte.
Carley ließ sie trinken und gab ihr dann ihr Lieblingsstofftier, einen rosa Flusskrebs, den ihre Mutter dem Baby geschenkt hatte. Es dauerte nicht lange, bis Cami die Augen schloss und zu weinen aufhörte.
Da Carley hier auf der Ranch Witts Bild nicht aufstellen konnte, versteckte sie es in einem ihrer Koffer. Danach holte sie das Handy aus der Windeltasche.
In dem geschlossenen Raum war es stickig. Carley öffnete das Fenster, während sie die endlos lange Nummer eintippte. Heißer Wind blies ihr ins Gesicht, als Reid Sorrels antwortete.
“Ist es Davidson?”, fragte er, ohne sich mit einem Gruß aufzuhalten.
“Das wussten Sie doch ohnedies schon. Ja, es ist Witt.” Sie informierte ihren Boss knapp über den Stand der Dinge und zählte auf, was sie von ihm verlangte. “Überprüfen Sie die Kinderärztin Dr. Luisa Monsebais und den Heimleiter Gabriel Diaz. Schicken Sie mir eine Kopie der Unterlagen, ohne dass es jemand erfährt.”
“Spätestens morgen treffen die Kopien in unserem örtlichen Büro ein. Ich sorge dafür, dass sie Ihnen gebracht werden.” Reid schwieg einen Moment. “Er hat Sie nicht erkannt?”
“Nein. Witt hat alles vergessen und nennt sich Houston Smith. Ich fühle mich schrecklich allein. Die ganze Umgebung ist fremd, Reid.”
“Versuchen Sie, Ihren Laptop über Satellit mit unserem Büro zu verbinden. Vielleicht befinden Sie sich in Reichweite. Und melden Sie sich zweimal täglich telefonisch bei mir.”
Carley hatte noch ein Anliegen. “Setzen Sie sich mit Dr. William Fields am
Cannon Neurological Institute
in Chicago in Verbindung und arrangieren Sie noch heute eine Konferenzschaltung. Wir brauchen in diesem Fall sein Wissen.” Gedankenverloren betrachtete sie die dürren Eichen und Ebenholzbäume. “Rufen Sie mich zurück, sobald Sie ihn erreicht haben. Ich warte.”
Nachdem sie die Verbindung unterbrochen hatte, drückte sie das Telefon an die Brust. Reid hatte für Witt die Vorschriften umgangen. Sofort nach der Identifizierung durch Manny hätte er Witt in Gewahrsam nehmen und befragen müssen. Reid hatte jedoch auf ihren Bericht gewartet, und er war auch jetzt noch bereit zu warten.
Witt war einer der besten Agenten der Einsatzgruppe gewesen. Sein Verlust hatte die Operation weit zurückgeworfen, und sein ungeklärtes Verschwinden wirkte sich für Reid negativ aus. Zusätzlich hatte Reid in gewisser Weise auch sie verloren. Vergeblich hatte sie monatelang in Houston, wo sie gegen den Ring der Kinderhändler ermittelten, in Bars und an Treffpunkten der Unterwelt nach Hinweisen auf Witt gesucht. Um mehr über ihn zu erfahren, war sie sogar in die Kleinstadt in Westtexas gefahren, in der er aufgewachsen war.
Sie hatte mit seinen ehemaligen Lehrern gesprochen, die Gräber seiner Angehörigen besichtigt und einstige Nachbarn und Freunde aufgesucht. Dadurch hatte sie ein genaueres Bild des Verschwundenen erhalten, ihn selbst aber nicht aufgespürt.
Die Kindheit hatte bei ihm tiefe Narben hinterlassen. Sie hatte mit Kindern gearbeitet, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Diese Kinder verschlossen sich gefühlsmäßig, um nicht zu riskieren, erneut verletzt zu werden. Als Erwachsene hatten die meisten Angst vor festen Bindungen und vertrauten niemandem.
Witts Mutter war gestorben, als er noch sehr klein war. Sein gewalttätiger Vater war umgekommen, während er sich im alkoholisierten Zustand prügelte. Vielleicht würde Witt ihr deshalb nie die Liebe schenken können, nach der sie sich sehnte. Trotzdem hielt sie ihn für einen
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