Das Gebot der Rache
ihre Psychiater. Man erörterte die beste Uni für gerade mal Vierjährige.
Kinder, die überallhin chauffiert wurden, in riesigen, polierten SUVs hockend, in Designerklamotten gesteckt, auf ihre BlackBerrys und iPhones starrend, wenn sie zum Ballettunterricht, zum Eishockeytraining oder zum Spielen bei ihren Freunden gekarrt wurden. Manchmal führten Geburtstagspartys beide Gruppen zusammen: die Kinder im riesigen Wohnzimmer oder dem Freizeitraum im Keller bei Videospielen, Apps und Online-Chats, die Erwachsenen in der Küche bei Sauvignon blanc, Pouilly Fumé und Canapés. Die Küchen und Wohnzimmer sahen alle mehr oder weniger gleich aus. Große Flächen aus unbehandeltem Bioholz und lokalem Naturstein, vollgestopft mit technischen Spielereien: Gastro-Spülmaschinen, versteckten Gefrierkombinationen und Wasserhähnen, die sofort kochendes Wasser spuckten. All diese Annehmlichkeiten, von denen wir gar nicht mehr wussten, wie wir ohne sie zurechtkommen sollten. Und der Genuss des teuren Weißweins hielt sich natürlich in Grenzen. Niemand trank mehr, als schicklich war. Jeder musste noch fahren. Jeder hatte eine Karriere. Jeder hatte Kinder.
Mir fiel es schwer, mich zwischen diesen Männern zu bewegen, mit ihrem Gerede über Aktien und Anleihen, Börsengänge und Goldpreise. Von Gewinnmargen, Portfolios und Renditen. Natürlich hatten auch wir all dieses Zeug und beschäftigten uns damit. In erster Linie natürlich Sammy. Jedes Vierteljahr hatte sie ein Meeting bei Baker & Kenning, den Wirtschaftsberatern der Familie. Posten wurden verschoben, Steuerpositionen optimiert, Kapital abgesichert. Sie sprach nie mit mir über diese Dinge, und ich nahm ihr das alles andere als übel. Was hätte ich schon dazu beitragen können? Diese Leute waren mit Geld aufgewachsen. Für sie war es selbstverständlich, viel davon zu haben. Und genauso selbstverständlich war es, dass ihr Reichtum ihnen nur noch mehr Reichtümer einbringen würde. Mit welchen finanziellen Weisheiten war ich denn aufgewachsen? Mein Onkel Bert, dessen Artikulation nach einer Tracheotomie eingeschränkt war, hatte mir mal gesagt: »’efer ’eute ein ’enny als mo’n ein ’und.« Besser heute einen Penny als morgen ein Pfund. Die Wirtschaftsseiten in der Zeitung hätten meinetwegen auch in Mandarin oder Sanskrit verfasst sein können.
Wenn also bei jenen Zusammenkünften das Gespräch auf dieses Thema kam und jemand »Da sollten Sie unbedingt mal drüber nachdenken« oder »Da sollte Ihr Anlageberater Sie wirklich reinholen« sagte, dann nickte ich zustimmend, nippte an meinem Drink und entgegnete »Tatsächlich?« oder »In der Tat«. Vielleicht auch »O ja, davon habe ich schon gehört« oder »Hochinteressant«. Und dann erfand ich rasch eine Ausrede, um mich ans Buffet zu verdrücken oder nach den Kindern zu sehen.
Ich liebe Sammy und Walt von ganzem Herzen. Aber manchmal, wenn ich die beiden bei einer dieser Partys beobachtete – Sammys bemühtes Lächeln oder den gelangweilten Ausdruck in Walts Gesicht, das im Licht des Handys oder Videospiels bläulich schimmerte –, dann erschien mir das alles seltsam fremd, und ich dachte bei mir … ja, was eigentlich?
Vor einiger Zeit war ich in John Updikes Rabbit in Ruhe auf diese Passage gestoßen, in der Harry Angstrom die Landung eines Flugzeugs beobachtet, in dem sein Sohn und seine Enkel sitzen. »Er stellt sich vor, dass das Flugzeug im Augenblick, da es den Boden berührt, entzündet von einem seiner Glitzerpunkte, explodiert: ein roter Feuerball, schwarz umschattet, wie man es dauernd im Fernsehen sieht, und er ist schockiert, wie wenig ihn diese Vorstellung berührt, da ist bloß der kalte Nervenkitzel, Zeuge dieser Katastrophe zu sein, eine Art trostloses Staunen ob der zerstörerischen Kraft von Chemikalien, und die Erleichterung, nicht selbst an Bord dieses Flugzeugs gewesen zu sein.«
Auf dem College in Toronto hatte ich Updike in Amerikanischer Literatur durchgenommen und die gebundene Ausgabe des Buches gekauft, als es 1990 erschien. Ich weiß noch, wie ich zögerte, bevor ich das Geld auf den Kassentresen der Buchhandlung des Studentenwerks blätterte: nach der Formel von Sammys Vater heute immerhin gut dreißig Dollar. Damals war ich Anfang zwanzig. Den Zeilen nun zwanzig Jahre später wieder zu begegnen, führte zu einem Furcht einflößenden Déjà-vu, gefolgt von einer bangen Frage, die jedem Familienvater meines Alters wohlbekannt sein dürfte, ganz gleich, wie gut die Karten
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