Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
Vom Netzwerk:
ich in dieser Nacht allein nach Hause getorkelt wäre, statt zurück in die hell erleuchtete Küche der Hamiltons zu gehen und die Dose Kestrel zu trinken, die Banny mir von seinem privaten Vorrat anbot.
    »Prost, Kleiner.«
    »Aye. Prost, Banny.«

8
    In den Wochen nach Herbys Tod gingen wir mit Walt behutsamer um als sonst. Seine Launen wurden akzeptiert, seine Wutanfälle besänftigt – auch wenn ich manchmal dachte, dass es vielleicht ein Fehler war, allzu nachgiebig zu sein. Aber seit Walts Geburt hatte Sammys Wort in Erziehungsfragen immer mehr Gewicht gehabt als meins. Immerhin hatte sie sich diese Position hart erarbeitet, wie der turmhohe Bücherstapel auf ihrem Nachttisch ( Hör auf dein Kind , Die Arbeit einer Mutter ) und die geöffneten Seiten im Browser ihres Laptops (mit Überschriften wie Die Ernährung deines Kindes , Schlafmuster , Ermutigen statt Kritisieren ) bewiesen.
    Und unser Leben ging weiter. Ein Leben, das mir, wenn ich es gelegentlich mit dem Blick eines Außenstehenden, dem Blick meiner Kindheit betrachtete, immer noch fantastisch erschien. Die Elternsprechtage und Kinderfeste. Die Dinner-Partys und Benefizveranstaltungen. Die letzte Spenden-Aktion für Walts Schule hatte über 40000 Dollar für eine neue Bücherei eingebracht. Etwa einhundert Paare hatten im Schnitt mehrere Hundert Dollar gestiftet. Allein Sammy hatte einen Scheck über zweitausend Dollar ausgestellt. Auf der Heimfahrt versuchte ich, mir diese Situation für meine ehemalige Schule vorzustellen. Im Kopf überschlug ich die Summen: Jener Faustregel folgend – die ich von Sammys Vater so oft eingetrichtert bekam –, dass sich der Wert des Geldes unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Inflationsrate etwa alle fünfzehn Jahre halbiert, hätten zweitausend Kanadische Dollar Mitte der Neunziger ungefähr eintausend Dollar entsprochen, in den späten Siebzigern noch knapp fünfhundert Dollar, nach dem damaligen Umrechnungskurs ungefähr zweihundert Britische Pfund. Ich versuchte, mir also auszumalen, wie meine Eltern meiner Schule einen Scheck über zweihundert Pfund ausstellten. Noch absurder als die involvierte Summe war die Vorstellung des Schecks selbst. Die Handschrift meiner Mutter, die Schreibfehler, das kindliche Durcheinander aus Groß- und Kleinbuchstaben – » ZWEI H un D er T F u NT «. Die groteske Zeremonie anlässlich des Vorgangs: Onkel, Tanten und sonstige Familienmitglieder, die feierlich um den Tisch herumstehen, während der Scheck ausgestellt wird, und den großen Moment fotografieren. An damals zu denken, entlockt mir nicht oft ein Lächeln. Dieser Gedanke allerdings schon.
    Bei einem Spenden-Dinner wie diesem traf sich die High Society von Regina und Umgebung. Darunter Ray Glad, der Nachrichtensprecher von CBKT , und seine Gattin Charlie, eine Rechtsanwältin. Alan Becks, Geschäftsführer des Ölkonzerns Federated Co-op, und seine Gemahlin Hope, eine »Hausfrau«. Jimmy Green, Linebacker der Saskatchewan Roughriders, und seine Frau Gail. Sammy, mit ihrem Status als Herausgeberin und dem Geld ihres Vaters im Rücken, bewegte sich auf dem Parkett dieser Veranstaltungen wie ein Fisch im Wasser. Sie schwebte von einem zum anderen, die linke Hand über dem Brustbein, während sie im sanften Licht der Kronleuchter mit konspirativ geneigtem Kopf ihren Gesprächspartnern lauschte und über deren Scherze oder Indiskretionen lachte, nicht ohne mit der rechten Hand ihre Zähne zu bedecken. Dank Sammy – oder seltener aufgrund des briefmarkengroßen Fotos neben der Autorenzeile meiner wöchentlichen Review-Kolumne – wussten die Leute, wer ich war. Und sie fragten mich Sachen wie: »Haben Sie diesen oder jenen Film schon gesehen?« Oder sie schmeichelten: »Ich muss Ihnen sagen, mir hat der Film auch sehr gut gefallen.« Gelegentlich versuchte jemand, sich von mir bestätigen zu lassen, dass der alte Sam ein neues Immobiliengeschäft plante: »Ich habe gehört, Ihr Schwiegervater hat ein Auge auf die Grundstücke rund um North Central geworfen …« Aber meistens war ich der Typ, der in der Ecke saß und die Dips verspeiste. Der Typ, der nickte und »Ach wirklich?«, »Aha« und »Wie interessant« sagte.
    Der Typ, der sich fragte, ob sie nicht in Wirklichkeit alle dachten: »Da kommt ihr Gatte, der Hausmann .«
    Das alles dominierende Gesprächsthema bei diesen Veranstaltungen waren die Kinder. Immerzu ging es um sie: ihre Nannys, ihre Lehrer, ihre Ärzte. Ihre Medikamente, ihre Ernährung und sogar

Weitere Kostenlose Bücher