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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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sind, die das Leben einem zugeteilt hat. Wie bin ich hierhergekommen? Immer begleitet von diesem Drang – blass und vergänglich, nie verwirklicht, aber dennoch wirklich –, alles wegzuwischen und von vorne zu beginnen.
    In jenen Wochen im November und Anfang Dezember brach allmählich der Winter herein. Es wurde Tag für Tag kälter, die Temperaturen fielen so rapide wie noch nie in diesem Jahr, von zehn Grad Ende Oktober auf minus fünfzehn Anfang Dezember. Die durchschnittliche Schneehöhe im Dezember lag bei fast sechzig Zentimetern. Danny, der Gärtner, der auch für Reparaturen und Instandhaltung zuständig war, überprüfte die Nebengebäude auf ihre Winterfestigkeit. Er montierte die schweren Schneeketten an Sammys Audi und dem Familien-SUV. Im Norden sah man am Himmel große graue Wolkenwirbel. Man spürte förmlich, wie die Luft dichter und schwerer wurde, als trüge sie den Schnee bereits in sich. Als wäre er nur noch nicht zu sehen.

9
    »Verdammt nochmal, Walt. Jetzt reicht’s aber!«, rief ich und schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad, selbst überrascht von der Heftigkeit meines Wutausbruchs. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass der Blick, mit dem Walt mich vom Rücksitz aus ansah, nun eher noch unverfrorener war. Ich spürte seinen Fuß in meinem Rücken, verstärkte meinen Griff ums Lenkrad und konzentrierte mich auf die Straße, deren schwarzes Band das uns von allen Seiten umgebende Weiß durchschnitt. Zur Rechten tauchte die Highschool von Alarbus aus dem dichten Schneetreiben auf. Im Rückspiegel sah ich, wie Walt sich auf die Lippe biss, während er aus dem Fenster starrte. Seine großen, braunen Augen glänzten tränenfeucht.
    »Hatten wir nicht besprochen, dass wir später darüber reden, Walt?«, sagte Sammy leise.
    »Reden? Was gibt’s da zu bereden?«, fragte ich. »Er geht völlig verantwortungslos mit seinen Sachen um.«
    An diesem Morgen war mir in der Küche Walts Smartphone aufgefallen, das oben auf seiner Jacke auf einem der Hocker am Frühstückstresen lag. Das Display hatte einen Sprung, die Risse bildeten ein Wabenmuster. Es war dieses Jahr bereits das zweite Handy, das er ramponiert hatte. »Walt?« Ich hielt das Handy in die Höhe. »Was ist diesmal passiert?«
    »Das war nicht meine Schuld.« Seine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Ohne aufzublicken fuhr er damit fort, Schlittschuhe, Helm und Protektoren in seiner großen, rot-weißen Sporttasche zu verstauen. Sein Eishockeyschläger lehnte hinter ihm an der Fensterscheibe.
    »Es ist nie deine Schuld«, sagte ich. »Was ist passiert?« Ich fuhr mit dem Daumen über das Display des Handys. Es schien noch zu funktionieren.
    »Tommy hat mich beim Spielen geschubst …«
    »Tja, du wirst wohl damit zurechtkommen müssen.«
    »Ich kann nächsten Monat eh ein Upgrade auf ein neues Handy machen.«
    Etwas in mir protestierte, revoltierte entschieden dagegen, dass ein Achtjähriger das Wort Upgrade benutzte. Und gegen die Art, mit einem nachlässig eingeworfenen »eh« einen Anspruch zu postulieren. »Gratis?«, fragte ich.
    »Klar. Na ja, nicht ganz … es kostet höchstens hundert Dollar.«
    »Dann tut es mir leid für dich, Kumpel. Denn du wirst wohl noch mindestens ein Jahr mit diesem hier auskommen müssen.«
    »Aber Mom hat gesagt …«
    »Ist mir egal, was …«
    In diesem Augenblick kam Sammy in die Küche.
    »Hast du das gesehen?«, fragte ich und zeigte ihr das Handy. Sammy seufzte nickend. »Das ist das zweite Handy innerhalb von sechs Monaten. Dann muss er halt mit dem hier zurechtkommen.«
    »Das Display ist zersprungen, Donnie. Er wird sich verletzen.«
    Ich hatte mir tatsächlich gerade an einer winzigen Glasscherbe den Daumen geschnitten, auf dem nun ein stecknadelgroßer Blutstropfen erschien. »Wir haben sicher noch irgendwo durchsichtiges Klebeband«, erwiderte ich. »Wir kleben das Display einfach.«
    »Mom!«, jammerte Walt.
    »In meinem Büro fliegt auch noch irgendwo ein altes Nokia rum. Das könnte er haben.«
    »Ein Nokia ?«, fragte Walt entsetzt.
    »Bitte«, sagte Sammy, »können wir das nicht später diskutieren? Wir kommen noch zu spät zum Spiel.«
    Aber ich ließ mich auch im Auto nicht davon abbringen, bis ich schließlich wutentbrannt aufs Lenkrad einschlug. Als wir auf dem Parkplatz hielten, riss Walt die Tür auf, knallte sie hinter sich zu und rannte zu seinen Freunden, noch bevor ich den Motor ausgestellt hatte. Überall setzten Eltern ihre achtjährigen Kinder ab. Sie

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