Das gebrochene Versprechen
Bay Bridge drüben auf der
anderen Seite des Boulevards, glitt dann hinauf zu dem schweren Brückenbogen
über uns. »Shar, ich will, dass Mick all den Spaß hat, der mir entgangen ist.
In seinem Alter war ich schon zwei Jahre mit meiner ersten Band auf Tour. Hab’s
nicht mal für nötig gehalten, die High School zu Ende zu machen. Ich war besessen
— total besessen. Und dann, plötzlich, war ich Ehemann und Vater. War nicht
leicht.«
»Bereust du’s?«
»Keine Sekunde. Deine Schwester
und die Kinder sind das Beste, was mir im Leben passiert ist. Sie haben mir die
Kraft zum Durchhalten gegeben. Verglichen mit Charlys Gesicht, als ich ihr
gesagt habe, ich hätte einen Vertrag mit Transamerica, ist alles, was seither
war, nur der Zuckerguss auf der Torte.« Die Worte waren aufrichtig, aber die
Melancholie, die darin schwang, stand in irritierendem Gegensatz zur Aussage.
Ich wartete, in der Hoffnung,
dass er mir erzählen würde, was zwischen ihm und Charlene schief lief, aber er
verstummte, den Blick noch immer auf den Brückenbogen geheftet.
»Ricky«, sagte ich schließlich,
»ich habe rausgefunden, wo der Wortlaut dieser Briefe herstammt.«
»Schon? Charly hat ja gesagt,
du seist die Beste in deinem Metier. Jetzt glaub ich’s.«
»Ich habe gute Kontakte, das
ist alles. Es ist eine Textzeile aus einem Song namens ›My Mendacious
Minstrel‹, gesungen von Arletta James.«
»Letta? So was! Na klar — diese
Balladen, die sie ausgegraben hat.«
»Dann hast du den Song schon
mal gehört?«
»Klar.«
»Erinnerst du dich an die
Story, die er erzählt?«
»Nur vage.«
Ich referierte sie ihm. Er
wurde blass und presste die Lippen aufeinander, folgte in Gedanken
offensichtlich derselben Logik — oder Unlogik — wie ich.
»Ich muss dich das fragen«,
sagte ich. »War da je was zwischen dir und Arletta James?«
»Du meinst, was Sexuelles? Wohl
kaum. Letta ist lesbisch, lebt in einer langjährigen Beziehung. Sie
interessiert sich nicht für mich.«
»Aber du kennst sie gut. Sie
dankt dir in ihren Liner Notes.«
»Ja, klar. Wir waren in
Bakersfield zusammen auf der Schule. Sie ist ein toller Mensch und eine tolle
Sängerin. Unglaubliche Stimme, einzigartig. Und jetzt findet sie endlich die
Beachtung, die sie verdient hat.«
Ich wollte trotzdem nicht so
schnell von der Hypothese abrücken, dass da eine Verbindung zwischen Arletta
James und den Briefen bestehen könnte. »Ich würde gern mit ihr über die Ballade
reden. Weißt du, wie ich sie erreichen kann?«
»Aus dem Stand nicht, aber ich
kann es über ihren Manager rausfinden. Wir verhandeln gerade mit ihm wegen
einer anderen Band.« Er zog ein Handy aus der Innentasche seines Jacketts,
klappte es auf und drückte eine Nummer. Zwei Minuten später beendete er das
Gespräch und sagte zu mir: »Du hast Glück. Lettas Manager sagt, sie ist morgen
zu Aufnahmen in den TriStar-Studios in Sausalito.«
»Großartig. Dann werde ich sie
dort kontaktieren.«
»Ich kapiere nicht, was du dir
von ihr erhoffst.«
»Man weiß nie, was einem Leute
sagen können, solange man sie nicht gefragt hat.«
»Mann, tut das gut, diesem Büro
entronnen zu sein«, sagte Hy, als wir uns in die Fondpolster einer zweiten
Limousine sinken ließen. »Der Tag heute war mal wieder wie verhext.« Sein
scharf geschnittenes Gesicht sah so müde aus, dass selbst der Schnurrbart
herabhing. Er fuhr sich durchs strubblige, dunkelblonde Haar und gähnte
herzhaft. »Die Schreibtischarbeit ist nichts für mich.«
»Wem sagst du das?« Ricky stieg
ebenfalls ein, setzte sich uns gegenüber streifte sein Jackett ab und kickte
seine Stiefel weg. »Ich war den halben Nachmittag mit meinen Partnern und einem
Anwaltsteam von Winterland Productions in meiner Hotelsuite eingesperrt.
Winterland macht die T-Shirts und den Merchandisingkram für die Midnight- Tour,
und mein Manager ist auf die glorreiche Idee gekommen, noch mehr
schwachsinniges Zeug zu lizenzieren.«
»Was für Zeug?«, fragte ich.
»Sweatshirts, Hüte, Becher,
weiß der Kuckuck. Fans kaufen alles, und das ist ein prima Weg, fix an eine
Bargeldspritze zu kommen — was immer nett ist, wenn man sechs Kinder hat und
einen Haushalt, der das Geld so schnell frisst, wie man’s herbeischafft.«
Ricky war noch nie der naive
Klischee-Künstler, der sich von jedem — von der Plattenfirma bis zum Manager —
ausnehmen lässt. Er hielt ein waches Auge auf alle Vertrags- und
Geldangelegenheiten, und wenn er etwas nicht selbst beaufsichtigen
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