Das gebrochene Versprechen
ihren
Job hinzuschmeißen und sich selbst mal an einer zu versuchen. Zu diesem Zweck
zeichnete sie ihre täglichen Aktivitäten getreulich auf, mit allem Drum und
Dran, Dialogen, Beschreibungen, philosophischen Exkursen. Ihren Stil fand ich
gar nicht übel, aber ihr Leben würde um einiges aufregender und ihr Lebensstil
um einiges mondäner werden müssen, wenn sie daraus einen schwülen,
semipornographischen Roman stricken wollte. Zu ihrem und zu meinem Glück war
sie allerdings schlau genug, ihren Brotjob beizubehalten.
Ich sagte: »Bist du wegen der
Coso Street so deprimiert? Das muss einem ja zusetzen.« Seit die verbliebenen
All-Souls-Partner eine neue Firma unter ihren Familiennamen gegründet und den
großen Altbau, in dem Rae immer noch wohnte, zum Verkauf angeboten hatten,
brachte ich es nicht mehr über mich, diesen Ort anders als mit dem Straßennamen
zu bezeichnen.
»Ja, tut es auch. Ich fühle
mich dort wie in einem Spukhaus.« Sie fuhr sich durch die roten Locken und
bedeutete dann Carmen, der eilfertig in unserer Nähe herumschwirrte, ihr noch
eine Cola zu bringen. »Keiner mehr da, jetzt wo Ted mit Neal zusammengezogen
ist.« Neal Osborn war ein Secondhandbuchhändler, den Ted letzten Winter auf der
Antiquariatsbuchmesse kennen gelernt hatte. Sie hatten sich zusammen eine
phantastische Wohnung in einem Art deco-Gebäude auf dem Telegraph Hill
genommen.
»Glaub mir«, fuhr sie fort,
»ich wollte, ich könnte endlich in die Wohnung einziehen, die ich gemietet
habe, aber der Eigentümer ist nicht vor dem ersten August draußen. Nachts liege
ich oben in meinem Dachzimmer und bin mutterseelenallein im Haus. Das ist ganz
schön gespenstisch — und deprimierend.«
Ich erinnerte mich gut, wie
unheimlich das Geknacke und Geknarze des alten Hauses sein konnte — selbst,
wenn andere Leute in der Nähe waren. »Warum, um Himmels willen, bleibst du dann
dort?«
»Ich habe keine andere Wahl.
Ein Motelzimmer kann ich mir nicht leisten, und meinen Freunden will ich nicht
zur Last fallen —«
»Dieser Freundin würdest du
nicht zur Last fallen.«
»Ach, Shar, das geht doch
nicht. Hy wohnt ja schon bei dir —«
»Nur noch zwei Tage. Das
Projekt, an dem er bei RKI gearbeitet hat, ist abgeschlossen, und er will
wieder zurück auf seine Ranch. Außerdem haben wir am Wochenende so viel vor,
dass wir kaum zu Hause sein werden. Nach dem —« Verdammt! Fast hätte ich’s
verraten. »Nach der Überraschung wirst du in die Coso Street fahren, das
Nötigste packen und in mein Gästezimmer ziehen.«
»Aber, Shar-«
»Kein Aber.«
Rae wirkte erleichtert. Ein
Lächeln krauste ihre Stupsnase.
Ich sah auf meine Armbanduhr.
»Ist gleich so weit. Ich würde vorschlagen, du lässt dir einen Pappbecher für
deine Cola geben und wir sehen zu, dass wir zum Piergebäude kommen.«
Als Rae und ich ankamen,
wartete die Büro-Gang samt Anhang schon fast vollzählig auf dem Bürgersteig vor
dem großen Maul des Piergebäudes: Ted und Neal, Anne Marie und Hank mit ihrer
Pflegetochter Habiba, Jessie Coleman, die Anwaltshelferin. Ich ließ Rae
aussteigen, fuhr dann nach drinnen und parkte den mg. Als ich ausstieg, kam Mick die Treppe von den Büroräumen
herunter, begleitet von Charlotte Keim.
Mick war kräftig wie sein
Vater, blond wie seine Mutter und im letzten Jahr zu einem gut aussehenden
Burschen herangereift. Keim war zierlich und brünett, mit lockigem Haar und
einem frechen Blitzen in den Augen, das einen ziemlich derben Humor anzeigte.
Bei all meinen Bedenken, dieses Verhältnis betreffend — sie war mit ihren
fünfundzwanzig sieben Jahre älter als er, und außerdem lebte er momentan mit
einem anderen Mädchen zusammen — , musste ich zugeben, dass sie ein hübsches
Paar waren.
Keim winkte und kam herüber.
»Mick behauptet, er weiß, worin die Überraschung besteht, aber er will’s mir
nicht sagen.«
»Er bildet sich nur ein, es zu
wissen.«
Mein Neffe grinste
besserwisserisch.
»Na ja, vielleicht weiß er’s ja
wirklich«, räumte ich ein. »Würdest du uns einen Moment entschuldigen,
Charlotte?«
»Klar.« Sie ging los, in
Richtung Toreinfahrt, drehte sich dann noch einmal um und rief: »Oh, Sharon —
Hy lässt ausrichten, er ist ein bisschen spät dran, und wir sollen nicht ohne
ihn losfahren.«
»Danke.« Ich wartete, bis sie
außer Hörweite war, und fragte dann Mick: »Wo ist Maggie?«
Seine Mundwinkel zogen sich
mürrisch nach unten. »Arbeiten.«
»Hör zu, ich habe nichts
dagegen, dass du
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