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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Schreibbewegung. Indikatoren für Selbstkontrolle bei
Proben Nr. 1 bis Nr. 3, danach deutliche Verschiebung in Richtung Indikatoren
für psychische Störung. Kriterium D: Expansivität der Schreibbewegung.
Durchgängig eingeschränkte Bewegung, was auf eine Person mit kontrollierter
Expressivität hinweist, d. h. zurückhaltend oder introvertiert. Kriterium E:
Entschiedenheit und Präzision der Schreibbewegung. Indikatoren für
Durchsetzungsfähigkeit, Aggressivität und Konkurrenzorientiertheit durchgängig,
jedoch von Probe Nr. 1 bis Probe Nr. 6 signifikant abnehmend. In Proben Nr. 4
bis Nr. 6 ausgeprägte Indikatoren für Zorn- und Frustrationsstau.
    Zusammenfassung.
Die betr. Person schrieb anfangs offenbar mit einer klaren Zielorientierung,
die durch nachfolgende Ereignisse durchkreuzt wurde, was zu Zorn und
Frustration führte. Die rigide formale Struktur von Probe Nr. 4 könnte den
Versuch darstellen, innere Ordnung und Kontrolle wiederzuerlangen. Proben Nr. 5
und Nr. 6 weisen auf eine deutliche Persönlichkeitsveränderung und einen
signifikanten Kontrollverlust hin, aber nach Ansicht der untersuchenden
Graphologin vermag die betr. Person durchaus auf einem ziemlich aggressiven
Level zu funktionieren und eventuell ihren wahren inneren Zustand nach außen
hin zu überspielen.
     
    Am unteren Rand der Seite hatte
die Graphologin, die ich persönlich kannte, handschriftlich hinzugefügt:
»Sharon, ich dürfte eigentlich nicht mehr an persönlicher Meinung äußern, als
ich es oben getan habe, aber ich muss Sie warnen: Diese Person könnte äußerst
gefährlich sein!«
     
     
     
     

8
     
    Als ich zum Studium nach
Berkeley ging, hatte Sausalito noch etwas von einem ruhigen Bay-Küstendörfchen.
Wir sind damals oft sonntags nachmittags rübergefahren, um uns an einem Stand
Fish & Chips in Zeitungspapier zu kaufen, dann unser Mahl auf einem
der Kais zu verzehren und die Reste den Möwen zu verfüttern. Heute meide ich
diesen Ort: er ist mir zu schnuckelig, zu verstopft, zu voll von Touristen.
Doch als ich an diesem Nachmittag von der hoch gelegenen Terrasse des fröhlich
pinkfarbenen Alta-Mira-Hotels auf das abfallende Dächermeer schaute, musste ich
zugeben, dass es hier schön war. Von der weit geschwungenen Küstenmauer im
Süden bis zum chaotischen Gedränge der Hausbootszene ist dieser Ort ein Juwel
in der Kette der Kommunen, die unsere Bay säumen. Ich hatte vom Büro aus bei
den TriStar-Studios angerufen, mich hinter Rickys Namen versteckt, um zu
Arletta James durchzudringen, und mich mit ihr zum Lunch für zwölf Uhr
verabredet. Das Studio war leicht zu finden — ein Lagerhaus in einem
Gewerbegebiet im Norden des Orts, ganz in der Nähe der Hauptdurchgangsstraße.
Eine junge Frau mit einem Diamantstecker in der Nase und Verachtung im Blick
saß müßig am Empfang. Nachdem ich meinen Namen genannt hatte, musterte sie mein
offensichtlich allzu konventionelles Jeans-und-Baumwollhemd-Outfit, griff dann
langsam — gaaanz langsam — zum Telefon und sprach mit jemandem im Inneren des
Heiligtums. Dann sagte sie: »Sie kommt«, und gab sich wieder der Kontemplation
der Wand zu ihrer Rechten hin. Ich betrachtete die Wand: sie war mattweiß und
kahl; kein Riss brach die makellose Oberfläche. Dann blickte ich der Frau ins
Gesicht: Es war ebenso leer wie die Wand; keine Spur eines Gedankens brach die
makellose Oberfläche.
    Es dauerte keine Minute, bis
eine Tür auf der anderen Seite des Empfangs aufflog und eine Frau in einem
langen geblümten Flatterrock und einem rosa T-Shirt herausstürmte. Ihr
Erscheinen lud die Luft im Raum elektrisch auf; ihre dunklen Locken verstrahlten
Energie; ihre grünen Augen funkelten; selbst die Falten ihres Rocks und die
extravaganten Ohrringe schienen unter Strom zu stehen. »Sharon«, sagte sie,
»ich bin Letta. Lassen Sie uns, verdammt nochmal, von hier abhauen, ehe ich
jemanden umbringe.«
     
    Eine halbe Stunde später saßen
wir an einem Tisch auf der Hotelterrasse und tranken Ramos-Fizz. Ich erzählte
Letta von der Großen Fizz-Jagd, die Hank Zahn und ich einmal in Gesellschaft
eines Dutzends Kazoo-spielender, französischer Alta-Mira-Gäste veranstaltet
hatten. Dann hatte sie sich weit genug beruhigt, um mir zu erzählen, was bei
TriStar im Argen lag.
    »Zuerst mal ist da diese Gans
am Empfang. Ich glaube, sie haben ihr beim Nasen-Piercing das Gehirn
rausgesaugt. Und dann das Studio selbst — lieber Gott!« Sie warf den Kopf
zurück, dass die langen Locken flogen; ihre

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