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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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gern glauben, dass
es nichts mit Ricky zu tun hatte, aber das wäre wohl zu viel des Zufalls.«
    »Denke ich auch. Mal
angenommen, die Person dort im Treppenhaus war die, von der die Briefe stammen.
Das heißt, der- oder diejenige war beim Konzert, hat Ricky mit Rae wegfahren
sehen und ist der Limousine die ganze Strecke bis in die Coso Street gefolgt.«
    »Also eine Person, die Zugang
zum Trailer-Areal hatte. Aber wieso diese Warnung an Rae, Rick in Ruhe zu
lassen?«
    »Vielleicht, um ein Hindernis
aus dem Weg zu räumen, wahrscheinlicher aber in derselben Intention, in der
auch der Jasmin in seinen Trailer gelegt wurde.«
    »Als Eskalationsschritt?«
    »Scheint fast so.« Ich sah auf
meine Hände und bemerkte, dass meine Fingerspitzen ganz weiß waren, weil ich
den Kaffeebecher so fest umklammerte.
    Hy kam zu mir, nahm mir den
Becher weg und stellte ihn auf die Arbeitsplatte. Er schlang die Arme um mich;
ich schmiegte meinen Kopf an seine Schulter, atmete seinen vertrauten Duft.
Heute hätte ein unbeschwerter Tag werden sollen, angefüllt mit unseren Lieblings-City-Wochenendaktivitäten:
einem Trip zum Bauern- und Blumenmarkt; Dim Sum in der Clement Street; einem
Spaziergang am Baker Beach; einem Mittagsschläfchen, bei dem mit Schlafen nicht
viel war; Kino und anschließendem Essen mit guten Freunden. Und der Montag
hätte für uns beide der Beginn einer angenehmen Zeit sein sollen: er wieder
zurück in seiner geliebten Hochwüste, ich in meinem schönen Büro, mit der
Aussicht auf drei Wochen konzentrierter und produktiver Arbeit. Doch jetzt
schwante mit; dass es der Beginn einer schlimmen Zeit sein konnte — einer Zeit,
in der die Risiken immens sein würden und die Folgen eines Scheiterns zu
schrecklich, um darüber nachzudenken.
    Hy trat einen Schritt zurück
und schaute mir tief in die Augen, ehe er mich küsste. »Ich muss jetzt wohl
los.«
    »Ruf meinen Pager an, wenn du
was zu berichten hast.«
    Er grinste. »Vor zwei Monaten
hättest du noch geschworen, dass du nie so ein Ding besitzen würdest.«
    »Was soll ich dazu sagen? Meine
Belegschaft ist nun mal wild entschlossen, mich an die kurze Leine zu legen.«
     
    Ich zog mich an und
telefonierte, um die Wochenendverabredungen abzusagen. Dann hinterließ ich Rae,
die immer noch tief und fest schlief, einen Zettel und fuhr nach Bernal
Heights. Mein altes Wohnviertel schlummerte noch in der Morgensonne; kaum
jemand war zu sehen. Ich parkte in der Einfahrt des großen alten Hauses, das
einmal All Souls beherbergt hatte, und betrat dieses mittels eines Schlüssels,
den ich immer noch nicht zurückgegeben hatte. Schwere Stille erfüllte die fast
leeren Räume; die Luft war staubig und muffig. Ich ging geradewegs zur Treppe,
vorbei an dem Empfangsraum, wo sich so viele Szenen meines Lebens abgespielt
hatten. Steuerte durch den Flur des ersten Stocks zum Speichertreppenhaus. Ein
Teil des festgenagelten gummierten Treppenläufers war losgerissen, vermutlich
von Rae bei dem Sturz. Aber ansonsten keine Spur von dem nächtlichen Vorfall.
    Während ich wieder
hinuntereilte, hielt ich den Blick am Boden unter dem inneren Vorwand, dass der
Eindringling ja vielleicht etwas hatte fallen lassen. Aber mir war klar, dass
ich den Geistern der Vergangenheit auswich. Jahrelang war diese alte Villa mein
Zuhause gewesen — in vielerlei Hinsicht mehr als mein eigenes Haus — , und
obwohl mich meine neuen Büroräume entzückten, musste ich doch dort erst noch
Wurzeln schlagen. Vielleicht hatte ich mich ja deshalb so auf diese drei Wochen
Routinearbeit gefreut, die mir jetzt allem Anschein nach nicht beschieden sein
würden.
    Unterm Eingangsvordach schloss
ich die Tür sachte hinter mir und sagte dem Haus im Stillen ein letztes Mal
Lebewohl. Dann zog ich los, die wenigen bereits aktiven Nachbarn abklappern, um
festzustellen, ob jemand in den frühen Morgenstunden irgendetwas bemerkt hatte.
Eine Frau drei Häuser weiter bergauf stellte gerade ihre Zimmerpflanzen zum
Auslüften auf den Gehweg; obwohl wir öfters ein Schwätzchen gehalten hatten,
grüßte sie mich zunächst ohne irgendein Zeichen des Erkennens. Dann guckte sie
nochmal hin und sagte: »Ich dachte, Sie wären weggezogen.« Auf meine Fragen
erklärte sie, dass sie immer um elf ins Bett gehe und bis sieben durchschlafe.
Sie fragte nicht, wo ich hingezogen sei oder was ich in meiner alten Gegend
wolle.
    Jenseits der dreieckigen
Grünfläche, die die Straße teilte, fand ich einen Mann beim Autowäschen,

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