Das Geburtstagsgeschenk
nie genutzt hatten. Ivor ging ins Schlafzimmer, das unmöbliert war bis auf ein altes Sofa, das Juliet aus ihrer Wohnung in Queen’s Park mitgebracht hatte.
Er schloss die Tür nicht hinter sich – wahrscheinlich wollte er es uns nicht zu schwer machen, ihn zu finden –, setzte sich aufs Sofa, klemmte sich die Flinte zwischen die Knie, drehte den Kopf in Schussrichtung und drückte ab.
30
Pathetic Fallacy ist jener »traurige Trugschluss«, die Natur spiegele unser Empfinden wider. Die Sonne war so mild, der Herbsthimmel so blau, dass ich dieses strahlende Wetter als mitleidlos empfand, als einen Affront gegenüber Ivors Sturz. Ich hatte in meinem Büro noch die Abendzeitung gelesen, Iris angerufen und mich dann auf den Weg nach Westminster gemacht. Es war kurz nach halb fünf.
Auch Ivor hatte ich versucht zu erreichen, aber Festnetzanschluss und Handy waren auf Anrufbeantworter geschaltet. Er würde zu Hause sein – wo sonst? Ich sah die Reporter und Kameraleute, als ich in die Glanvill Street einbog, und als sie merkten, dass ich zu Ivor wollte, umzingelten sie mich. Ich sei Ivors Schwager, sagte ich, aber ich wüsste nichts, nicht einmal, wo er sei.
»Er ist im Haus«, sagte eine Frau. »Der Typ von nebenan hat ihn reingehen sehen.«
Sie hängte sich an mich, klammerte sich an meine Jacke, als ich mich entschloss zu klingeln. Ich klingelte und klingelte, bis ich einsah, dass es sinnlos war. Jetzt bereute ich bitter, dass ich nie um einen Schlüssel gebeten hatte. Ich drängte mich zurück durch die Meute. Helen, Ivors Putzfrau, arbeitete nachmittags meist in einem Haus am Ende der Straße, das hatte mir Juliet mal erzählt, ich weiß nicht mehr, warum. Die Reporter folgten mir, als ich es dort versuchte, aber auf mein Klingeln rührte sich nichts. Und da fiel mir Martin Trenant ein, Kronanwalt und Ivors Nachbar.
Allerdings würde der wohl auch nicht zu Hause sein, sondern bei Gericht, und dass er einen Schlüssel hatte, war nicht sehr wahrscheinlich. Ich kämpfte mich wieder die Straße hoch, von der Pressemeute vorwärtsgeschoben, von einer Kamera am Kopf getroffen, von den Reportern mit Fragen bombardiert. Vor Trenants Tür hielt ich den Atem an, und als er leibhaftig vor mir stand, konnte ich es kaum glauben.
Gelassen musterte er die Presse, ließ mich eintreten und schlug allen anderen die Tür vor der Nase zu. »Ich glaube, meine Frau hat einen Schlüssel, aber sie ist in Lissabon.« War diese Person denn nie zu Hause? »Er sollte sich finden lassen.«
Er hing an einem Haken an der Innenseite einer Kleiderschranktür. Gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durch die Reporter, denen Trenant gebieterisch zurief, sie sollten gefälligst aus dem Weg gehen. Wir kamen glücklich hinein, ohne dass jemand uns folgte. Das Haus schien leer zu sein. Es war unerträglich stickig, man bekam kaum Luft. In dem großen offenen Wohnbereich, in dem ich bei der Einweihungsparty Sean Lynch kennengelernt hatte, sah ich Ivors Testament auf dem Schreibtisch liegen und las die erste Zeile: Ich, Ivor Hamilton Tesham, wohnhaft. Canning House, Glanvill Street, Westminster, London SW I, widerrufe hiermit alle früheren letztwilligen …
Mir war, als schlösse sich eine Faust um mein Herz. Ich würde oben nachsehen, sagte ich zu Trenant. Er hatte den Schlüssel gesucht und gefunden, es war sehr anständig von ihm, dass er mich begleitet, dass er sich durch diese Hölle gekämpft hatte und mit mir ins Haus gekommen war, aber jetzt war er mir lästig. Ich konnte mir in etwa denken, was ich vorfinden würde, und wollte dabei allein sein, aber er kam schon – nicht weniger besorgt als ich – mit nach oben. Und da erinnerte ich mich an Ivors Worte, dass man ein Haus nicht durch einen Selbstmord besudeln dürfe, er hatte es also bestimmt nicht im Schlafzimmer getan, nicht in diesem schönen Schlafzimmer, das Juliet in ein Boudoir mit weißer Spitze und hellblauem Satin verwandelt hatte. Und sicher auch nicht in den anderen Räumen im Obergeschoss.
Im Souterrain war es kühler. Kühl und dämmerig. Die Räume hier unten wurden nie benutzt, umso mehr Grund für ihn, es dort zu tun, und dort fanden wir ihn denn auch, auf Juliets altem Sofa im »Dienstmädchenzimmer«, wie er es genannt hatte. Trenant, unverändert cool, sah kurz hin und ging, ohne zu zögern, ohne eine Frage zu stellen, nach oben, um die Polizei zu verständigen.
Ivors Kopf war voller Blut, eine Wunde über seinem rechten Ohr blutete immer noch. Die Flinte lag auf
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