Das Geflecht
Handynummer, die der Leiter der Rettungseinheit ihr gegeben hatte. «Ich rufe jetzt Schultze an.»
«Und was wollen Sie ihm sagen? Dass er wegen ein paar wirrer Verdachtsmomente vorsichtshalber mit einem Geigerzähler herkommen soll?»
«Genau das», bestätigte Carolin. «Am besten gleich mit einer Spezialeinheit in Schutzanzügen.»
Sie war eben dabei, die Nummer einzutippen, als ihre Aufmerksamkeit von einer Bewegung abgelenkt wurde, etwa zwanzig Meter entfernt im Gebüsch an der Felswand. Zuerst glaubte sie, es sei irgendein Tier, das der Sonnenaufgang aus seinem Bau gelockt hatte. Dann aber sah sie Kopf und Brust eines Menschen auftauchen.
«Mein Gott», flüsterte Traveen, der ihrem Blick gefolgt war.
«Das ist der Junge!», erkannte Carolin, die das Handy sinken ließ. «Justin Bringshaus. Justin, hier!»
Sie begann zu laufen, während Traveen hinterherschlurfte. Inzwischen war eine weitere Gestalt aufgetaucht, die eines Mädchens, soweit Carolin erkennen konnte. Die beiden jungen Leute halfen einem Mann ins Freie, der auf einem Bein hinkte.
«Justin! Sind Sie das?»
Alle drei wandten sich erstaunt um, als Carolin mit vor Aufregung gerötetem Gesicht auf sie zueilte. Ihre Frage beantwortete sich von selbst. Aus der Nähe erkannte sie zweifelsfrei den jungenMann, mit dem sie vor dem Tor des Bergwerks gesprochen hatte, außerdem ein hübsches Mädchen, dessen rote Locken unter einem Grubenhelm hervorquollen, und schließlich Leon Berner, Tias Partner, der eine Lampe trug. Alle drei sahen zum Erbarmen aus, bleich und erschöpft, mit verschmutzter und teilweise zerrissener Kleidung. Hinter ihnen am Fuß der Felswand, umgeben von dichtem Gebüsch, erkannte Carolin eine halbkreisförmige Öffnung im Fels, nah am Boden und kaum einen halben Meter hoch. Das also war der Ausstieg. Kein Wunder, dass sie im Dunkeln mindestens fünfmal daran vorbeigegangen waren, ohne ihn zu bemerken.
Ihr Blick traf den des Mädchens, und ehrliche Erleichterung ließ ihr Herz schneller schlagen. Das musste die Tochter der armen Frau Novak sein – gerettet und unversehrt, wie es schien.
«Gott sei Dank», seufzte Justin, der Carolin wiedererkannte, und ließ sich kraftlos zu Boden sinken. «Sind die Rettungsleute auch hier?»
«Ich rufe sie sofort», sagte Carolin und hob ihr Handy.
«Warten Sie!», bat Leon, der sich gegen einen Baum lehnte, um sein verletztes Bein zu entlasten. «Lassen Sie mich mit ihnen sprechen! Es gibt ein Sicherheitsproblem, von dem noch niemand etwas weiß.»
«Leon!», rief Jürgen Traveen, der eben herangekeucht kam.
Leons Augen weiteten sich erstaunt. «Herr Traveen!
Sie
hier?»
«Wo ist meine Kleine?»
«Tia ist noch in der Höhle – aber keine Sorge, es geht ihr gut. Bringshaus und Böttcher sind uns entgegengekommen. Dabei hat Bringshaus sich verletzt, und Tia wollte bei ihm bleiben.»
«Was für ein Sicherheitsproblem?», fragte Justin, der mit gerunzelter Stirn von einem zum anderen blickte. «Wovon sprechen Sie, Leon?»
Leon seufzte schwer. «Tia wollte Sie beide nicht beunruhigen, aber …»
«Es hat nicht zufällig etwas mit Strahlung zu tun?», erriet Carolin.
«
Was?»,
flüsterte Dana entgeistert.
Ich hatte recht, dachte Carolin, noch bevor Leon nickte.
«In dieser Höhle lagern illegal verschleppte Abfälle, nicht wahr?», sagte sie. «Und dieser Böttcher hat etwas damit zu tun, darauf würde ich ein Jahresgehalt wetten. Ich habe recherchiert. Er war schon einmal in eine ähnliche Affäre verwickelt …» Sie unterbrach sich, plötzlich alarmiert. «Und Tia ist allein mit ihm dort unten geblieben?»
Alle schwiegen einen Moment. Justin und Leon wirkten verwirrt, Dana entsetzt.
«Augenblick mal», schaltete Jürgen Traveen sich ein. «Wollen Sie etwa sagen, dass der Kerl meiner Kleinen etwas antun könnte?»
«Unmöglich.» Leon schüttelte den Kopf. «Herr Böttcher ist ein Freund von Justins Vater – nicht wahr, Justin?»
Justin jedoch starrte ausdruckslos vor sich hin.
«
Stronzo »
, sagte er. «Mein Vater konnte kaum mehr sprechen – aber er sah zu Böttcher auf und flüsterte: ‹Stronzo.›»
«Was bedeutet das?»
«Es bedeutet: Arschloch. Scheißkerl. Betrüger.»
Einen Augenblick herrschte beklommenes Schweigen.
Carolin war die Erste, die die Sprache wiederfand. «Wir müssen etwas unternehmen! Tia ist dort drinnen womöglich in Gefahr.»
«Ich kann das einfach nicht glauben!», murmelte Leon. «Also gut, ich werde zurückgehen. Nur für alle
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