Das Geflecht
Höhle verlieren werden. Und zum Zeichen Ihres guten Willens werden Sie mir jetzt das Probenröhrchen und die Münze aushändigen.»
Tias Puls schnellte in die Höhe.
Mein Gott … er hat etwas mit der Sache zu tun, begriff sie endlich. So leicht es ihr fiel, aus einer Geruchsnote chemische Substanzen zu erschließen, so schwer tat sie sich mit Erkenntnissen, wenn es um die verborgenen Absichten von Menschen ging. Täuschung und Tücke waren ihrem eigenen Charaktervöllig fremd, und so fiel es ihr schwer, Derartiges bei anderen zu erspüren.
«Und wenn ich das nicht tue?»
Die Frage war ehrlich gemeint. Böttcher jedoch musste sie in ihrer Naivität herausfordernd erscheinen.
«Seien Sie vernünftig!» Seine Stimme klang nun offen drohend. «Ich rate es Ihnen dringend.»
Perplex stand Tia vor ihm, alle Sinne angespannt, die Nasenflügel gebläht, die Ohren prickelnd vor Wachsamkeit. Kein Geräusch deutete auf eine Bewegung hin, nur der Atem ihres Gegners war deutlich hörbar.
«Ich wiederhole mich nur ungern.»
Böttcher begann im Halbkreis um sie herumzugehen. Tia fühlte, wie der Wärmekegel der Lampe von links nach rechts wanderte, stets auf ihr Gesicht gerichtet. Angst packte sie.
«Rücken Sie die Sachen nun heraus, oder muss ich Ihnen an die Wäsche gehen?»
Unwillkürlich legte Tia eine Hand auf die Tasche ihres Cave-Suits, in der die Münze steckte.
Böttcher schnellte vor und packte zu. Eine Faust schloss sich um Tias Handgelenk, stark genug, um ihr die Knochen zu brechen. Erschrocken schrie sie auf – doch die unerwartete Berührung löste ihre starren Muskeln, und plötzlich entlud sich ihre Anspannung in einem wilden Verteidigungsreflex. Sie schlug um sich, verdrehte den Oberkörper und wand sich unter Böttchers Griff. Er schnaufte und griff nun auch mit der anderen Hand zu. Ein schwerer Gegenstand prallte mit einem metallischen Geräusch auf den Boden, vermutlich die Lampe.
Böttchers linke Hand fand ihre Kehle. Erschrocken rang Tia nach Luft, als er zudrückte. Mit der freien Hand packte sie seinen Arm und versuchte ihn wegzuziehen, war jedoch völlig machtlos gegen seine überlegene Körperkraft.
Er will nur die Beweise, schoss es ihr panisch durch den Kopf. Ich gebe sie ihm, dann wird er mich loslassen.
Doch ein anderer, mitleidloser Teil ihres Verstandes erkannte, dass es zu spät war, um sich freizukaufen. Böttcher würde nicht ablassen, bevor er ihres Schweigens sicher war. Er würde sie umbringen.
Verzweifelt stemmte sich Tia gegen seinen Griff, während sie spürte, wie ihr die Atemluft ausging. Ihr Kopf begann sich mit weißem Nebel zu füllen. Gleichzeitig tastete sie mit dem Fuß nach der Stablampe. Sie musste ein kleines Stück links von ihr zu Boden gefallen sein – nicht weit von der Öffnung der Grube.
Komm schon! Komm schon!, flehte sie.
Endlich spürte sie den zylindrischen Metallkörper unter der Sohle ihres Stiefels. Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen, streckte das Bein und versetzte der Lampe einen harten Stoß. Scheppernd rollte sie über den Boden.
Das Geräusch war unüberhörbar. Böttchers Kopf fuhr herum, Tia spürte die Luftbewegung. Mit einem wütenden Schnauben ließ er von ihr ab und hechtete zur Seite, um die Lampe zu retten. Tia, plötzlich von seinem Griff befreit, wankte würgend auf der Stelle, besaß jedoch genug Geistesgegenwart, um ein Bein hochzureißen. Böttcher prallte dagegen, stolperte und stürzte auf Hände und Knie. Im nächsten Moment vernahm Tia das Geräusch der Lampe, die über den Rand der Grube kullerte, in die Tiefe fiel und platschend im Schlamm versank.
Kein Licht mehr – absolute Finsternis. Jetzt war sie es, die besser sah. Rasch fuhr sie herum und huschte davon.
«Schlampe!», brüllte Böttcher, der sich mühsam aufrappelte. «Verdammte heimtückische Schlampe!»
Tia hatte sich hinter eine der Steinsäulen geflüchtet, von denen der Raum kreuz und quer durchzogen war. In der Deckung kauernd,betastete sie ihre geschwollene Kehle und versuchte, das hörbare Pfeifen ihres Atems zu unterdrücken.
Schritte tappten, etwa zehn Meter entfernt. Tia begriff, dass Böttcher sich um sich selbst drehte und in jede Richtung lauschte. Sie glaubte, seine Gedanken zu erraten: In der vollkommenen Dunkelheit war er ihr nicht gewachsen. Gewiss konnte er sich zum Ausgang des Raums tasten und dort Stellung beziehen, um ihr den Fluchtweg zu versperren – doch das würde ihm nichts nützen. Es gab keinen Grund, warum Tia versuchen
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