Das Geflecht
den Ausschnitt ihres Overalls und kroch rasch, doch behutsam auf allen Vieren vorwärts. Es war ihr klar, dass sie sich auf diese Weise nur langsam von ihrem Verfolger entfernte, doch im Stockdunkeln – das wusste sie inzwischen nur zu gut – waren fünf Meter so weit wie hundert Meter im Tageslicht. Übertriebene Eile hätte nur die Gefahr bedeutet, gegen ein Hindernis zu stoßen und sich durch Geräusche zu verraten.
Sie umrundete eine Säule, überwand eine kniehohe Felsstufe, erspürte einen gezackten Grat zu ihrer Linken und kauerte sich dahinter zusammen. Angespannt lauschte sie in die Dunkelheit. Hinter sich hörte sie Böttchers unregelmäßige Schritte und seinen schnaufenden Atem, weit genug fort – zumindest für den Augenblick. Es klang, als drehte er sich auf der Stelle. Dann plötzlich tappten weitere Schritte in einiger Entfernung, leichtfüßiger, schneller. Dana hörte deutlich, wie Böttcher herumfuhr und den Atem anhielt.
Tia, dachte sie. Sie bewegt sich absichtlich laut, um ihn abzulenken.
Die Gelegenheit nutzend, verließ sie ihr Versteck, kroch einige Meter weiter und verharrte erneut.
«Ihr wollt Verstecken spielen?», hallte Böttchers Stimme höhnisch durch den Raum. «Na schön: eins, zwei drei, ich komme!»
••• 05 : 50 ••• TIA •••
Danas Erscheinen hatte es Tia ermöglicht, aus der Sackgasse zu fliehen, in die sie sich zurückgezogen hatte. Mit ihrem feinen Gehör konnte sie die Position des Mädchens ungefähr ausmachen: Ihr leiser Atem hauchte in einer Nische nahe der linken Seitenwand der Höhle. Böttcher bewegte sich ein gutes Stück entfernt. Dana war ihm entkommen – zumindest vorläufig.
«Was haben Sie vor?», rief Tia laut, um ihn abzulenken. «Wollen Sie uns beide umbringen?»
Er antwortete nicht, sondern wechselte die Richtung und nahm Kurs auf sie. Tia huschte ein Stück rückwärts und ging in Deckung.
«Zum letzten Mal!», knurrte Böttcher. «Gib mir das Probenröhrchen und die Münze! Wenn du dich weigerst, wird deine junge Freundin es ausbaden.»
«Dazu müssen Sie sie erst einmal in die Finger bekommen!», konterte Tia kühn. Gleichzeitig jedoch flackerte Angst in ihr auf. Dana konnte sich im Dunkel nicht sicher bewegen – es war möglich, dass Böttcher sie erwischte. War er tatsächlich so abgebrüht, dass er das Leben des Mädchens als Druckmittel benutzen würde?
Das wird nicht geschehen, schwor sich Tia. Es liegt an mir! Ich muss ihn von ihr fortlocken.
Dies schien zumindest vorläufig zu gelingen, denn Böttcher näherte sich zusehends. Tia hörte, wie er mit dem Fuß gegen einen losen Stein stieß, sich bückte und ihn aufhob. Sie ließ ihn bis auf wenige Meter herankommen, sprang dann überraschend auf und flüchtete, wobei sie denselben Weg benutzte, auf dem sie gekommen war. Böttcher hatte keine Chance, sie zu ergreifen, denn er prallte schon nach drei Schritten – wie Tia es geplant hatte – gegen eine Felsstufe.
Ich muss zu Dana, dachte sie, während sie die Höhle an der rechten Seitenwand umrundete.
••• 05 : 55 ••• DANA •••
Beklommen lauschte Dana dem Durcheinander hastender Schritte im Dunkeln. Als ein leises Rascheln näher kam, duckte sie sich tief in ihr Versteck und versuchte, ihren keuchenden Atem zu unterdrücken. Jemand schlich geradewegs auf sie zu, sehr leise und vorsichtig.
Bitte, flehte Dana innerlich, nicht der
böse Mann!
Bitte!
Doch ihr Instinkt entwarnte sie bereits, bevor sie Tias Flüstern hörte.
«Dana?»
Die mittlerweile vertraute, tastende Hand fand ihre Schulter. Tia hockte sich neben sie und sprach nah an ihrem Ohr.
«Wo sind die anderen?»
«Draußen», flüsterte Dana zurück. «Ich habe die Lampe genommen, deshalb konnten sie mir nicht folgen. Das … war wohl sehr dumm von mir.»
«Im Gegenteil», gab Tia leise zurück. «Sie kamen genau im richtigen Moment. Trotzdem brauche ich noch einmal Ihre Hilfe.» Tia verstummte kurz, und beide lauschten in die Dunkelheit hinaus. Böttcher schien noch weit entfernt, doch seine Schritte näherten sich zusehends.
«Bleiben Sie hier!», befahl Tia. «Rühren Sie sich nicht vom Fleck, und richten Sie die Lampe geradeaus. Wenn ich ‹
Jetzt!›
rufe, schalten Sie sie ein – aber keine Sekunde vorher, in Ordnung?»
«Was haben Sie denn vor?»
«Keine Zeit für Erklärungen!»
Dana spürte, wie Tia rasch von ihrer Seite glitt und davonhuschte.
Nicht vom Fleck rühren?, dachte Dana erschrocken. Und was soll ich
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