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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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lernen!», mahnte er stets, wenn sie Unfallopfer interviewen sollte, trauernde Hinterbliebene, Hartz-IV -Empfänger unter Betrugsverdacht oder Lokalpolitiker, die in Ungnade gefallen waren. Carolin missachtete diese Weisung bewusst und nicht ohne Trotz: Sie war entschlossen, keinem Menschen die Würde zu nehmen, ihn öffentlich zu blamieren oder mit Zudringlichkeiten zu überrumpeln. Insgeheim hatte sie für jene Art von Journalismus, die Bittrich vorschwebte, nur Geringschätzungübrig. Vermutlich – so dachte sie manchmal – war genau das der Grund, warum sie es nur bis zum Lokalressort einer Kleinstadtzeitung gebracht hatte: Ihr fehlte, um es mit Bittrichs Worten zu sagen, die nötige Frechheit.
    Als gegen halb elf Männer mit einer Trage aus dem Eingangsstollen auftauchten, glaubte Carolin wie alle anderen, die Tochter der Novaks sei gerettet worden.
    Gut! Gleich ist alles vorbei, dachte sie und hob ihr Fotohandy für einen finalen Schnappschuss. Letztes Bild: Glückliche Mutter schließt unversehrte Tochter in die Arme, die nach bangen Stunden der Ungewissheit endlich geborgen wurde.
    Doch ihr Finger erstarrte auf dem Auslöser, als sie einen entsetzten Schrei von Danas Mutter hörte. Auf der Trage lag nicht das Mädchen, sondern einer der Notärzte, eine blutende Platzwunde im Gesicht. Eilig drängte sich Carolin zu den Novaks durch, denen der Rettungsleiter der Feuerwehr gerade die Lage erklärte.
    «Es tut mir sehr leid», sagte er, nahm seinen Helm ab und wischte sich die Stirn. «Die Menschen in der Höhle sind unverletzt, aber vorläufig von der Außenwelt abgeschnitten. Wir werden Räumgeräte anfordern müssen.»
    «Wie ist das passiert?», fragte Carolin.
    «Die Decke ist eingestürzt», beschied Havermann knapp. «Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss telefonieren.»
    Danas Onkel versuchte ihn aufzuhalten, doch seine Schwester hatte sich ihm schluchzend an den Hals geworfen, sodass er nicht von der Stelle kam.
    Da sie die beiden nicht bedrängen wollte, schloss sich Carolin den Männern an, die den verletzten Notarzt zum Einsatzwagen seines Kollegen trugen. Es war derselbe, der den jungen Finn ins Krankenhaus gebracht hatte und bereits vor einigen Minuten zurückgekehrt war.
    «Oh nein – Holger!», begrüßte er seinen lädierten Berufsgenossen. «Du hast ja ganz schön was abgekriegt! Dass das genäht werden muss, brauche ich dir wohl nicht zu sagen.»
    «Schon klar», stöhnte der andere. «Hast du irgendwas vom Labor gehört?»
    «Ja.» Sein Kollege grinste schief. «Tut mir leid, aber deine Wette hast du verloren! Sie sagen, dass die Forscherin recht hat: Es ist tatsächlich ein Pilz. Offenbar hat er die halbe Höhle dort unten überwuchert. Wahrscheinlich eine Schimmelspezies, aber mit dicken Rizomorphen voller Chitin, wie bei Holzpilzen.»
    «Wie geht es Finn?», mischte sich Carolin rasch ein. «Wissen Sie schon Genaueres?»
    Der Arzt verstummte augenblicklich, als er die Journalistin erkannte.
    «Wir dürfen darüber keine Auskünfte geben», sagte er zurückhaltend.
    «Es war von einem Pilz die Rede», beharrte Carolin. «Was meinen Sie damit? Hat der Junge sich dort unten irgendeine Infektion geholt?»
    «Tut mir leid – Schweigepflicht.»
    Nachdenklich blieb Carolin zurück, als der Notarzt abfuhr, um seinen Kollegen ins Krankenhaus zu bringen. Die Feuerwehrleute hatten sich ratlos um ihren Chef versammelt, der noch immer telefonierte, und die Novaks hatten sich in den Schatten eines der Einsatzwagen zurückgezogen.
    Was nun?, fragte sich Carolin. Es war keine ermutigende Aussicht, herumzustehen und abzuwarten, zumal es niemanden gab, der irgendwelche Auskünfte erteilen wollte.
    Wird Zeit, dass ich selbst ein wenig recherchiere, ermahnte sie sich. Immerhin war es einst ihr Traum gewesen, Wissenschaftsjournalistin zu werden und über spannende Naturphänomenezu berichten statt über Ladeneröffnungen, Stadtfeste oder Verkehrsunfälle. Und von einem Pilz, der in einer Höhle wuchs und Menschen angriff, hatte sie noch nie gehört.
    Carolin nahm ihr Handy zur Hand, rief das Internet auf und tippte «Pilze» in die Suchmaschine.
    Pilze: Ortsfest wachsende Lebewesen, die weder zu den Tieren noch zu den Pflanzen gehören, sondern ein eigenes Reich mit rund 120.000 bekannten Arten bilden. Von Pflanzen unterscheiden sich Pilze dadurch, dass sie keine Energie aus Sonnenlicht gewinnen und daher auch in vollkommener Dunkelheit wachsen können. Im Allgemeinen bevorzugen sie ein warmes und

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