Das Geflecht
und Akku fühlten sich intakt an, das Birnengehäuse jedoch war geborsten. Im Stillen schalt sich Leon, dass er in der Eile sein Rückengepäck nicht angelegt hatte, das eine tragbare Lampe, Batterien, Kletterhaken und eine Notfallausrüstung enthielt. Immerhin war es Tia gelungen, das Seil zu retten, das sich beim Absturz am Boden zusammengerollt hatte. Großen Nutzen würde es freilich kaum mehr haben, denn die obere Schachtöffnung war versperrt.
«Wir sind hier unten eingeschlossen, nicht wahr?», fragte Justin, der offenbar den gleichen Gedanken hatte. Er klang erstaunlich gefasst.
«Sieht so aus», bestätigte Tia.
«Verdammt, und ich habe nicht einmal mein Handy dabei. Das Display würde wenigstens ein bisschen Licht abgeben. Warum haben
Sie
kein Licht?»
«Weil ich keins brauche. Ich konnte ja nicht damit rechnen, dass ich noch Besuch bekomme.»
«Wie meinen Sie das: Sie brauchen kein Licht?»
«Ich bin blind.»
«Sie sind
was?
» Justin schwieg einen Augenblick verdutzt.
«Gewöhnen Sie sich lieber an die Dunkelheit, denn mit rascher Hilfe von außen ist nicht zu rechnen», sagte Tia. «Außerdem müssen wir uns dringend um Dana kümmern.»
Erschrocken fuhr Justin auf. «Wo ist sie?»
«Ich führe Sie hin.»
In der vollkommenen Dunkelheit dauerte es einige Zeit, bis sie sich quer durch die Höhle getastet hatten. Sie bildeten eineKette: Justin hatte Tias Hand ergriffen, Leon die von Justin. Unter ihren Füßen gurgelten Pfützen.
«Das Wasser steigt verdammt schnell», bemerkte Leon.
«Ja, ein paar Minuten vor dem Einsturz hat sich der Zufluss verstärkt», sagte Tia. «Das macht unsere Aufgabe leider nicht einfacher.»
Mehr schien sie dazu nicht sagen zu wollen, doch Leon begriff, was sie meinte, als die drei eine Mulde an der Wand erreichten. Hier hatte das Wasser einen regelrechten See gebildet, da es sich offensichtlich um die tiefste Stelle der Höhle handelte.
«Dana?», rief Justin.
«Justin!» Danas Stimme überschlug sich vor Erregung. «Justin, ich bin hier!»
Ein lautes Platschen verriet, das Justin sich zu Boden geworfen hatte und die Arme ausstreckte, um nach ihr zu tasten.
«Vorsicht!», warnte Tia. «Sie liegt auf der Seite und ist an der Schulter eingeklemmt.»
«Was machst du hier?», wimmerte Dana.
«Ich wollte bei dir sein», gab Justin leise zurück. «Ich hab doch versprochen, dass ich in den tiefsten Abgrund springen würde, um dich zu retten … weißt du noch?»
Einen Moment lang kämpften beide mit den Tränen, während Tia enger an Leon heranrückte.
«Ich habe alles versucht», flüsterte sie ihm zu. «Es geht nicht vorwärts und nicht rückwärts … und die Zeit läuft uns davon. Sie liegt mit dem Gesicht nah am Boden.»
Leon nickte stumm. Er war in die Knie gegangen, hatte eine Hand auf den Boden gestützt und spürte das Wasser, das etwa zwei Zentimeter hoch stand und über seine Fingerknöchel quoll. Er verstand, was Tia meinte: Wenn der Wasserspiegel weiter stieg …
«Nein! Nicht ziehen!», schrie das Mädchen plötzlich.
«Justin, nicht!» Tia fuhr auf und packte den jungen Mann, der offenbar ungeschickt versucht hatte, seiner Freundin zu helfen. «Das hat keinen Zweck! Sie kugeln ihr die Schulter aus!»
«Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, sie da herauszubekommen!» Justins Stimme schwankte vor Verzweiflung. «Und was ist das für ein Zeug an ihrem Bein … diese Fäden?»
«Das erkläre ich Ihnen später», wehrte Tia resolut ab. «Erst einmal müssen wir etwas unternehmen.»
«Dana, können Sie sich irgendwie auf der Stelle drehen?», schlug Leon vor. «Egal in welche Richtung?»
«Ich hab’s doch versucht!», weinte Dana. «Schon tausendmal. Es
geht
einfach nicht!»
Leon schob einen Arm in den Felsspalt. Seine Finger erreichten Danas Gesicht, spürten ihre kalte Wange, den beschleunigten Atem – und das Wasser, das an der zu Boden gedrückten Seite ihres Kopfes emporstieg und bereits einen Fingerbreit unter dem rechten Mundwinkel stand.
«Mir ist so kalt», flüsterte Dana. «So kalt …»
Leon schauderte. Offenbar war das Mädchen derart ausgekühlt, dass sie das Wasser kaum spürte – andernfalls wäre ihr vermutlich klargeworden, dass sie über kurz oder lang ertrinken würde.
«Haben Sie nicht irgendeine Idee?», wandte sich Justin flehentlich an Tia. «Etwas, was Sie noch nicht ausprobiert haben?»
Tia schwieg einige Zeit. Leon, der sie kannte, lauschte diesem Schweigen mit wachsender Besorgnis. Meistens
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