Das Geflecht
feuchtes Klima, trotzen aber auch ungünstigen Umweltbedingungen. Es wurden bereits Pilze entdeckt, die in der Lage sind, auf Leder oder Glas, in arktischer Kälte und selbst unter dem Einfluss radioaktiver Strahlung zu wachsen (vgl. Pilze von Tschernobyl).
Pilzsporen keimen auf organischen Materialien und bilden ein Geflecht feinster Fasern, mit denen sie ihre Nahrungsquelle überwuchern. Meistens gedeihen sie auf totem Holz, Laub und verfaulenden Pflanzenteilen, aber auch auf Nahrungsmitteln, Tierkadavern und Kot. Parasitische Pilze befallen lebende Pflanzen und Tiere und zählen damit zu den Krankheitserregern (Pathogenen).
Carolin schauderte ein wenig, als sie an das Gesicht des jungen Finn dachte: Seine Wangen waren von einer Art flockigem Pelz bedeckt gewesen, ähnlich wie ein wochenaltes, verschimmeltes Brot. Sie suchte nach «Pilzkrankheiten beim Menschen» und klickte sich durch verschiedene Internetseiten.
Spätestens nach seinem Tod wird fast jeder Mensch zur Nahrungsquelle von Pilzen, die eine wichtige Rolle beim Verwesungsprozess spielen. Doch auch der lebende Mensch hat mit Angriffen parasitischer Pilze zu kämpfen. Mikroskopisch kleine Sprosspilze gehören zur normalen Besiedlung der menschlichen Schleimhäute und führen meist nur bei geschwächtem Immunsystem zu Krankheitserscheinungen. Verschiedene Fadenpilze, die sogenannten Dermatophyten, ernähren sich von dem Eiweiß Keratin, das in Haut, Haaren und Nägeln enthalten ist (vgl. Fußpilz). Die gefährlichsten Erkrankungen werden jedoch von Schimmelpilzen verursacht, die über die Haut, durch offene Wunden oder durch eingeatmete Sporen in den Körper eindringen. Sie sind in der Lage, mit ihren Fasern lebendes Gewebe zu durchdringen, und können lebensgefährliche Infektionen der Unterhaut, der Lunge oder des Nervensystems verursachen. Einige von ihnen sondern Toxine ab, die zu den stärksten bekannten Giften gehören (vgl. Aspergillose, Histoplasmose, Phaeohyphomykose).
Mein Gott, was es alles gibt, dachte Carolin, buchstabierte sich mit Mühe einige der schwierigen Fremdwörter zusammen und versuchte Genaueres herauszufinden. Allerdings stieß sie bald auf Artikel in englischer Sprache, deren medizinisches Vokabular sie nicht verstand. Entmutigt beschloss sie, ihre Erkundung vorläufig abzubrechen.
«Möchten Sie einen Kaffee?», fragte einer der Feuerwehrleute, der mit einer Thermoskanne zu ihr herüberkam.
«Oh ja, vielen Dank.» Abwesend nahm sie die Plastiktasse entgegen. Offensichtlich blieb ihr doch nichts anderes übrig, als abzuwarten.
ZWEITER TEIL
••• 22 : 35 ••• LEON •••
Leon hockte auf einem der Fässer am Fuß des Müllbergs und hielt sich eine Hand vor die Augen, in der Hoffnung, wenigstens einen vagen Schatten zu erahnen. Doch er sah nur vollkommene Finsternis, dunkler als die tiefste Nacht, wie die Schwärze eines sternenlosen Weltraums. Lediglich das Zifferblatt seiner Armbanduhr erzeugte einen fahlen Schimmer, der jedoch bald schwächer werden und binnen einer Stunde vermutlich ganz erlöschen würde.
Neben ihm saß Justin, der eben seinen Pullover auszog, um sich von Tia die verletzte Schulter betasten zu lassen.
«Nur eine Prellung», stellte sie fest. «Es hätte schlimmer kommen können.»
In der Tat hatten sie unglaubliches Glück gehabt. Als in der Abbaukammer die Decke eingestürzt war, hatte Leon sich bereits bis zu Justin abgeseilt, der nahe der unteren Schachtöffnung feststeckte. Dann hatte das Seil plötzlich nachgegeben, und beide waren haltlos abgerutscht. Leon war es gelungen, sich an der Schachtöffnung festzuklammern, während Justin abgestürzt war. Glücklicherweise lag der Boden nur zwei Meter tiefer, und der Junge war weich gefallen, da das seltsame Fasergeflecht den Hügel wie eine Grasmatte bedeckte. Leon hatte sich noch einige Sekunden festhalten können, dann aber waren Steinbrocken durch den Schacht herabgeregnet, hatten seinen Helm getroffen und auch ihn in die Tiefe gerissen. Dass weder er noch Justin ernste Verletzungen davongetragen hatten, verdankten sie Tia, die rechtzeitig zur Stelle gewesen war, um beide aus der Reichweite der niederprasselnden Steine zu zerren.
Noch immer hielt Leon seinen Helm in der Hand und betastete die Delle in dem nahezu unverwüstlichen Kunststoff. Nur ungern malte er sich aus, wie es ihm ergangen wäre, wenn die Steine seinen nackten Schädel getroffen hätten. Die eingebaute Lampe jedenfalls war unrettbar zerstört: Stromleitung
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