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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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Leon auch den Grubenhelm. Nun stand sie splitternackt in der Dunkelheit und atmete flach vor Anspannung.
    «Passen die Helme durch die Öffnung?», vergewisserte sich Tia.
    «Gerade so», bestätigte Leon. «Haben wir alles? Die Decke, das Gepäck, die Schuhe   … Justin, her mit Ihrer Unterwäsche! Für Scham ist jetzt keine Zeit.»
    «Vergiss deine eigenen Sachen nicht, Leon!», mahnte Tia. «Ist es in Ordnung, wenn ich dich als Letzten hole? Ich würde gerne mit Dana anfangen.»
    «Geht klar.»
    Dana fühlte sich am Arm gepackt. Tias Hand war eiskalt, aber ihr Griff so fest wie immer.
    «Kommen Sie, Dana! Ich führe Sie. Es sind nur ein paar Schritte   … Achtung, Stufe! Mit dem nächsten Schritt treten Sie ins Wasser. Vorsichtig!»
    Dana presste die Zähne zusammen und unterdrückte einen Aufschrei, als kalte Nässe ihre Füße bis zu den Knöcheln umspülte. Schon in diesem Moment hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und japste verzweifelt.
    Oh Gott, das überlebe ich nicht, dachte sie. Ich werde bestimmt ohnmächtig, wenn ich untertauche. Mein Herz wird einfach stehen bleiben.
    «Bitte   … bitte   … nicht», brachte sie flüsternd hervor.
    «Ich streiche Ihnen ein wenig Wasser über Arme und Schultern, damit Sie sich daran gewöhnen», kündigte Tia an.
    Die Drohung bewahrheitete sich: Ein eisiger Regen folgte. Diesmal schrie Dana auf, unfähig sich zu beherrschen.
    «Legen Sie mir beide Arme fest um die Taille! Sie müssen nichts weiter tun, als sich ziehen zu lassen. Halten Sie die Luft an, wenn ich es Ihnen sage.»
    «Ich kann nicht   …» Danas Stimme war zu einem tonlosen Fiepen geworden. «Ich konnte noch nie lange die Luft anhalten   … Bitte   …»
    Sie hatte schützend die Arme vor der Brust gekreuzt, doch Tia ergriff ihre Hände und zog sie auseinander. Dann neigte sie sich vor und legte ihr Gesicht an Danas Wange, um ihr ins Ohr zu sprechen.
    «Das
schaffen
Sie, Dana! Glauben Sie mir. Sie haben ein junges und starkes Herz.»
    «Sie haben gut reden», erwiderte Dana schlotternd. «Sie haben ja vor nichts Angst.»
    «Oh doch», widersprach Tia. «Auch ich habe Angst – zum Beispiel vor großen Höhen. Ich steige ohne Zögern in die tiefste Höhle, aber auf einem Balkon im zehnten Stock wird mir schwindlig, weil unter offenem Himmel mein Orientierungssystem versagt. Ich habe auch Angst vorm Fliegen und bin jedesmal froh, wenn das Flugzeug landet und ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Es kommt nur darauf an, wie man mit der Angst umgeht: Man kann sich von ihr lähmen oder beflügeln lassen.»
    «Wie meinen Sie das?»
    Tia schmunzelte, Dana spürte die Bewegung an ihrer Wange.
    «Lassen Sie es mich erklären. Ich war einmal in einem Vergnügungspark, da gab es einen Turm mit einer Gondel, in der man festgeschnallt, vierzig Meter hoch hinaufgezogen unddann fallen gelassen wurde. Ich traute mich kaum, das Ding zu betreten.»
    «Und   …», flüsterte Dana, «haben Sie es getan?»
    Tia nickte ernst. «Es war so ziemlich das Schlimmste, was ich je erlebt habe: freier Fall, Spitzengeschwindigkeit hundert Stundenkilometer. Es war so entsetzlich, dass ich fünfmal hintereinander in dieses Ding gestiegen bin.»
    Dana rang sich ein zittriges Lachen ab. «Wie – fünfmal? Obwohl es so furchtbar war?»
    «Gerade deshalb», sagte Tia. «Ich wollte es besiegen. Verstehen Sie, was ich meine?»
    Dana schwieg beklommen.
    «Und nun legen Sie die Hände um meine Hüften und atmen Sie tief ein!»

••• 02   :   30 ••• LEON •••
    Nackt stand Leon in der Dunkelheit und lauschte den Geräuschen. Er war froh, dass Justin diesmal nicht die Sekunden zählte. Als in der Nachbarkammer Wasser aufspritzte und ein lautes Prusten herüberdrang, atmete er erleichtert auf.
    «Alles klar!», meldete Tia durch die Wandöffnung.
    «Dana?», rief Justin beklommen. «Bist du in Ordnung?»
    «Alles wird gut», gab Tia zur Antwort, was wohl ebenso sehr zur Beruhigung für Justin wie für seine Freundin gedacht war. Dana schien außerstande zu sprechen und keuchte so laut, als hätte sie einen Asthmaanfall.
    «Streichen Sie das Wasser mit den Händen ab!», instruierte sie Tia. «Und auf keinen Fall gleich wieder anziehen! UnserLeben hängt davon ab, dass die Kleider trocken bleiben, verstanden? Ich hole jetzt Ihren Freund. Dann können Sie sich gegenseitig wärmen.»
    Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg sie ins Wasser zurück, und erneut vergingen zehn Sekunden, bis sie diesseits

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