Das Geflecht
durchquert hatten. Es dauerte einen Moment, bis er diese Wahrnehmung richtig einordnen konnte.
«Das ist derselbe Geruch, der aus dem Müllschacht im Bergwerk aufstieg!» Aufgeregt wandte er sich zu seinem Gefährten um. «Wir haben die Verbindung gefunden!»
Böttcher lächelte.
«Wir müssen sofort zurückgehen und das Rettungsteam suchen!», drängte Bringshaus. «Sie können nicht weit weg sein, vielleicht eine halbe Stunde zu Fuß …»
Er verstummte, denn Böttcher machte keinerlei Anstalten, sich von der Stelle zu bewegen. Stattdessen blieb er mittenim Eingang stehen, den er mit seiner kräftigen Statur nahezu vollständig ausfüllte. Sein Lächeln war plötzlich wie eingefroren. Die schwere Hacke hing locker in seiner Hand, die Spitze berührte den Boden.
«Wir werden
nicht
die Rettungsmannschaft holen», sagte er ruhig, aber bestimmt. «Wir werden hier warten, bis dein Sohn und die anderen sich zu uns durchgeschlagen haben. Sie werden es schaffen, glaub mir – auch ohne die Hilfe von Schultzes Leuten.»
Bringshaus starrte ihn entgeistert an.
«Hast du verstanden, Jörn? Wir holen
niemanden
», wiederholte Böttcher. «Wir bleiben hier und warten ab.»
«Das kann doch nicht dein Ernst …»
Bringshaus verstummte abermals – und dann, ganz plötzlich, begriff er. Ein Schauder kroch ihm den Nacken hinauf. Mittlerweile hätte er seinem sogenannten alten Freund alles Mögliche zugetraut, doch mit einer derartigen List hatte er nicht gerechnet. Fassungslos schüttelte er den Kopf.
«Du hast es so geplant, nicht wahr? Du hast Schultzes Leuten die falsche Richtung angegeben, weil du sie aus dem Weg haben wolltest. Sie suchen völlig umsonst auf der anderen Seite des Bergs. Die Traveen hat gar nichts von Südosten gesagt, oder?»
«Nein, sie sagte Nordwesten», nickte Böttcher. «Und sie hatte völlig recht. Ich habe nicht daran gezweifelt.»
«Du willst sie abfangen, wenn sie es bis hierher schafft – richtig? Darum wolltest du das Rettungsteam nicht in der Nähe haben!»
«Diese Frau hat in der Höhle eine Erdprobe genommen, und wenn sie die analysieren lässt, könnte das zu ernsten Verwicklungen führen. Sie muss überzeugt werden, dass sie ihre Entdeckung für sich behält – und das ist einfacher, wenn keine Zuhörer dabei sind. Dass das auch in deinem Interesse ist, mussich wohl nicht extra betonen. Wir werden die Kinder zum Ausgang vorausschicken und die Traveen unter irgendeinem Vorwand hier festhalten, um mit ihr zu reden.»
«Du willst ihr Geld bieten?» Bringshaus schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht, dass diese Frau sich kaufen lässt.»
«Natürlich bin ich gern bereit, Frau Traveens Einverständnis auf gütlichem Weg zu erreichen – auch mit Geld, wenn es sein muss.»
«Und wenn dir das nicht gelingt …»
Böttcher schwieg. Einen Augenblick maßen sie einander mit stummer Wachsamkeit, bis Bringshaus plötzlich fühlte, dass ihm der Schweiß ausbrach.
«Du willst … du willst doch nicht …?»
Er scheute sich, seinen Verdacht laut auszusprechen.
«Von
Wollen
kann keine Rede sein», erwiderte Böttcher ungerührt. «Aber im Ernstfall werde ich tun, was getan werden muss. Keine Sorge,
du
brauchst dir nicht die Hände schmutzig zu machen. Es ist genau wie immer: Du brauchst nur stillzuhalten, während ich die Arbeit erledige.»
«Das werde ich
nicht!
», flüsterte Bringshaus. Blitzschnell versuchte er abzuschätzen, ob er es wagen konnte, einfach draufloszustürmen und sich an seinem Widersacher vorbeizudrängen, um zum Ausgang zu gelangen. Zwecklos. Ohne Zweifel war Böttcher auf einen derartigen Versuch gefasst. Seine Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln.
«Sieh an! Jörn, der Schmieresteher, hat einen Anfall von Edelmut. Weißt du eine Alternative? Dann sag sie mir!»
Bringshaus wischte sich den Schweiß von der Stirn, während er sich den Kopf nach einem Ausweg zermarterte. Was auch immer geschah – diesen Ausgang der Ereignisse würde er nicht hinnehmen. Seit dem Moment, als Justin vor seinen Augen in den Müllschacht gesprungen war, hatte er sich mitder unweigerlichen Aufdeckung aller Geheimnisse abgefunden. Für seinen Anteil am Geschehen würde er geradestehen, denn er bereute bitter, was er getan hatte. Der Gedanke an die unvermeidlichen Folgen schreckte ihn nicht mehr. Jede mögliche Konsequenz verblasste vor dem Bild Justins, der irgendwo in den Tiefen des Berges um sein Überleben kämpfte. Bringshaus’ einzige Hoffnung
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