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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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durchpflügte mit beiden Armen das Wasser. Falls er nicht die Öffnung des Syphons erreicht hatte, konnte es leicht geschehen, dass er mit dem Kopf gegen die Decke schlug – doch es war ihm gleichgültig. Eine rasche Ohnmacht war dem Ertrinken bei vollem Bewusstsein vorzuziehen.
    Als er die Oberfläche durchbrach und Luft auf seinem Gesicht spürte, konnte er es kaum glauben. Keuchend dehnten sich seine Lungen zu einem verzweifelten Atemzug, während er heftig paddelte, um oben zu bleiben. Er versuchte zu schreien –nach Tia, nach den anderen. Es kümmerte ihn nicht mehr, dass er sich blamierte. Doch es gelang ihm nicht, denn er hatte keinen Atem für seine Stimme übrig.
    Wo war das Ufer? Er sah nur gestaltlose Schwärze, und selbst seine Ohren, noch halb mit Wasser gefüllt, erlaubten ihm keine Orientierung. Wenn er sein Ziel erreicht hatte, warum zogen die anderen ihn nicht ans rettende Land?
    «Tia!» Noch immer gelang ihm kein Schrei, stattdessen keuchte er halblaut ihren Namen. Aus der Dunkelheit ringsum kam keine Antwort.
    Leon sammelte seine letzten Kräfte für ein paar fahrige Schwimmzüge. Die Richtung wählte er aufs Geratewohl. Als er an eine senkrechte Wand stieß, schob er sich daran entlang, bis er Widerstand unter den Füßen spürte. Der Syphon wurde flacher.
    Gott sei Dank   …
    Er ertastete das Ufer und krallte beide Hände um einen Felsvorsprung. Mühsam gelang es ihm, den Oberkörper an Land zu wuchten, die Beine nachzuziehen und sich keuchend auf den Rücken zu rollen.
    Leon war gerettet – und dennoch hatte er kaum das Gefühl, dem Wasser entkommen zu sein, denn seine Haut war noch immer gefühllos vor Kälte. Erst als sein Atem sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder klar denken konnte, stellte er sich die unvermeidliche Frage.
    Wo bin ich?

DRITTER TEIL 

••• 02   :   39 ••• BRINGSHAUS •••
    Der Stollen, dem Bringshaus und Böttcher folgten, führte schnurgerade ins Erdreich unter dem Berg. Sie konnten aufrecht gehen und mussten nur gelegentlich die Köpfe einziehen, wenn sie einen der Querbalken passierten, die die Decke stützten. Im Schein der Lampen blitzte nacktes Gestein auf, hereingewehtes Laub und einmal der zusammengekrümmte Kadaver eines Fuchses, der in die unterirdische Anlage eingedrungen und wahrscheinlich verhungert war.
    «Das sind schon mindestens hundert Meter», schätzte Bringshaus. «Erstaunlich, dass der Stollen aufgegeben wurde. Mit der damaligen Technik muss es Monate gedauert haben, ihn anzulegen.»
    «Schau mal, da vorn!» Böttcher war ein paar Schritte vorausgegangen und hob seine Lampe.
    Der Stollen endete in einer halbrunden Kammer. Wände und Decke waren nur grob behauen und von Spalten durchzogen. Einige geborstene Bretter lagen am Boden, uralte Überreste hölzerner Kisten.
    «Vorsicht!», warnte Böttcher und packte Bringshaus am Arm, der die Kammer betreten wollte. «Da ist ein Loch im Boden!»
    Sie senkten die Lampen, und Bringshaus erkannte eine trichterförmige Verwerfung, die mehrere Meter in die Tiefe reichte. Der Boden ringsum war eingebrochen, und das Geröll hatte einen schrägen Hang gebildet. In einer Seitenwand der Grube klaffte ein Felsspalt, der eindeutig nicht mit Hammer und Schlägel, sondern durch natürliche Kräfte geformt worden war.
    «Sieh an!» Vorsichtig umrundete Böttcher die Grube und leuchtete hinab. «Könnte das nicht der Zugang zur Höhle sein?»
    «Ich glaube, du hast recht», nickte Bringshaus. «Das würde auch erklären, warum dieser Stollen aufgegeben wurde: instabiler Boden. Offenbar ist er den Bergleuten direkt unter den Füßen weggebrochen.»
    «Wir müssen uns überzeugen», entschied Böttcher, steckte die Hacke in den Gürtel und setzte einen Fuß auf die Abbruchkante. «Meinst du, wir schaffen es dahinunter?»
    Vorsichtig ließen sie sich auf den Hang hinab, sicherheitshalber rückwärts und auf allen Vieren, die Stablampen zwischen den Zähnen. Glücklicherweise erwies sich das Geröll als einigermaßen trittsicher. Als sie schließlich unten standen, stellte Bringshaus fest, dass der mannshohe Erdspalt sich zu einer natürlichen Ganghöhle öffnete, die mit leichtem Gefälle ins Dunkel führte. Zögernd drang er einige Schritte vor, schwenkte die Lampe und erblickte rissigen Fels, überzogen von mineralischen Ablagerungen, die wie herabhängende Lappen aus den Wänden traten. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase – erdiger und feuchter als in dem Stollen, den sie zuvor

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