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Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
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Dafür ist der Spalt immerhin groß genug. Wir selbst müssen unter der Wand hindurchtauchen.»
    Ein entsetztes Schweigen trat ein.
    «
Nackt?
», fragte Justin ungläubig.
    «Tia, das ist Wahnsinn!», rief Leon. «Wenn wir auf einer unserer üblichen Touren wären, Neoprenanzüge hätten und warme Decken auf der anderen Seite, dann könnte man es in Erwägung ziehen, aber   …»
    «Ich werde die Verbindung zwischen den beiden Räumen zuerst erkunden», unterbrach ihn Tia. «Allein. Ich tauche hindurch und stelle fest, wie weit der Weg ist und ob man von deranderen Seite aus überhaupt an die Wandöffnung herankommt. Dann können wir uns weiterstreiten – in Ordnung?»
    Leon bezwang sich. «Na gut. Aber sei um Gottes willen vorsichtig! Wenn wir
dich
verlieren, sind wir alle verloren.»
    Sie tasteten sich am Ufer des Gewässers bis zur Rückwand der Höhle, wo sich die kleine Öffnung zur benachbarten Kammer befand. Leon steckte probeweise die Hand hinein.
    «Wahrscheinlich hast du recht», gab er zu. «Selbst ich spüre den Luftstrom.»
    «Und auf der anderen Seite sind wir den Pilz endlich los», ergänzte Tia, während ein leises Scharren verriet, dass sie ihre Stiefel auszog. «Hilfst du mir mal mit dem Reißverschluss?»
    Dana lauschte angespannt, während Tia sich auszog und ans Ufer trat.
    «Am besten nehme ich das Kletterseil mit. Ich befestige das eine Ende an diesem Steinhöcker hier. Wenn ich es auch auf der anderen Seite irgendwo festmachen kann, können wir es unter Wasser als Führungsleine benutzen.»
    Sie atmete einige Male tief ein und aus. Wasser schwappte, dann folgte ein unterdrücktes Keuchen.
    «Überleg’s dir noch mal!», mahnte Leon.
    Vor ihrem geistigen Auge glaubte Dana zu sehen, wie Tia, bis zu den Waden im Wasser stehend, entschlossen den Kopf schüttelte. Dann zeugte ein lautes Platschen davon, dass sie abtauchte. Das Wasser beruhigte sich. Stille trat ein, erst nach einiger Zeit vom Geräusch aufsteigender Luftblasen unterbrochen.
    «Drei   … vier   … fünf   …» Justin zählte flüsternd die Sekunden. Dana hätte ihn am liebsten gebeten, still zu sein, denn es steigerte ihre Anspannung ins Unerträgliche. Doch sie scheute sich zu sprechen und umklammerte nur mit verstärktem Druck seine Hand.
    «…   neun   … zehn   … elf   …»
    Wasser spritzte hörbar in einiger Entfernung auf. Alle lauschten, bis sich von der anderen Seite der Höhlenwand ein Prusten näherte.
    «Ich bin durch!» Tias Stimme, gedämpft durch die schmale Öffnung, bebte vor Kälte. «Leon, gib mir deine Hand!»
    Dana erriet, dass sie den Arm durch die Wandöffnung streckte, um sich zu vergewissern, dass es die richtige war.
    «Alles klar», sagte Leon erleichtert. «Ich bin hier. Verdammt, du fühlst dich eiskalt an!»
    «Angenehm ist es nicht», gab Tia zu. «Aber ich hatte recht: Von hier aus führt der Weg weiter nach oben, und die Luft wird wärmer. Ich werde jetzt das Seil befestigen und komme zurück.»
    «Das musst du doch nicht!»
    «Doch, das muss ich!», beharrte Tia. «Ich bringe jeden Einzelnen von euch persönlich hinüber.»
    Es dauerte eine Weile, bis sie neben den anderen wieder auftauchte und an Land kletterte.
    «Alles bestens», brachte sie mit erstaunlicher Beherrschung hervor. «Zieht euch aus! Nichts bleibt am Körper, verstanden? Kein Slip, keine Socke. Wir schieben alles durch die Wandöffnung nach drüben. Leon, fang mit meinem Gepäck und den Stiefeln an!»
    Während Leon der Aufforderung nachkam, fühlte Dana, wie die verdrängte Panik wieder in ihr Herz zurückkehrte. Wenn selbst diese starke und durchtrainierte Frau derart zitterte, musste das Wasser eisig kalt sein. Dana war keine große Schwimmerin – auch tiefes Wasser gehörte zu den Dingen, vor denen sie sich fürchtete. Mit einem Freibad bei dreißig Grad Außentemperatur konnte sie sich arrangieren, auch wenn sie einen Bogen um die Sprungbretter machte. Doch es hatte sie einige Überwindung gekostet, als sie im vergangenen Sommer – trotz ausdrücklicher Warnung ihrer Mutter – mit Justin, Finnund Laura in einem abgelegenen Baggersee geschwommen war. Laura hatte ihr die Mutprobe noch zusätzlich durch Witzeleien über Autowracks auf dem Seegrund und ähnlichen Unfug erschwert. Justin dagegen war stolz auf sie gewesen, obwohl sie sich die meiste Zeit in Ufernähe aufgehalten hatte.
    «Machen Sie schon, Dana!», drängte Tia.
    Dana gehorchte mechanisch, zog die Schuhe aus, streifte den Overall ab und reichte

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