Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
Vom Netzwerk:
sich das Ende des Kletterseils um den Knöchel gebunden hatte. «Wir brauchen nur dem Seil zu folgen. Außerdem habe ich den Syphon mittlerweile in fast jeder Richtung erkundet und kenne seine Tücken. Am besten machst du es wie Justin und Dana, hältst dich einfach an mir fest und lässt dich ziehen.»
    «Glaubst du, dass du dafür noch genügend Kraft hast?»
    «Ach, Leon   …» Tia schmunzelte. «Um meinen besten Freund in Sicherheit zu bringen, hätte ich alle Kraft der Welt.»

••• 03   :   45 ••• BRINGSHAUS •••
    «Selbst schuld, Jörn.»
    Die gleichgültige Stimme drang wie aus weiter Ferne an Bringshaus’ Ohren. In Wahrheit war sie nicht fern, ein Rest seines Verstandes wusste das. Er hatte tappende Schritte gehört, hatte wahrgenommen, wie der Lichtkegel einer Stablampe über sein Gesicht gestreift war und wie Hartmut Böttcher sich mit einem leisen Schnaufen am Rand der Grube niedergelassen hatte. Nun saß er dort oben, zwei Meter über Bringshaus’ Kopf, abwartend wie ein Geier, der auf ein sterbendes Tier herabblickt.
    «Was rennst du auch einfach drauflos? Ich kann nichts für dich tun, ich habe kein Seil. Wir werden warten müssen, bis die anderen kommen.»
    Bringshaus war gegen die Wand der Grube gesunken und hatte einen Arm über einen Felsvorsprung gelegt, weil er sich so am leichtesten aufrecht halten konnte. Seine rechte Hand, die noch immer die Taschenlampe umklammerte, hatte er an die Brust gedrückt. Wie lange er schon in dieser Stellung verharrte, hätte Bringshaus nicht sagen können – eine halbe Stunde vielleicht, womöglich auch eine ganze. Seine Glieder waren erstarrt und taub. Weißer Nebel wallte in seinem Kopf, und das Licht der Stablampe war nicht mehr als ein diffuses Wetterleuchten in der Finsternis. Kaum nahm er wahr, wie das feine Gespinst, das die Oberfläche des Morastes bedeckte, langsam an seinen Armen hinaufwucherte, seine Schultern eroberte, in seinen Hemdkragen übergriff und an der linken Halsseite zum Gesicht emporkroch.
    «Tu doch nicht so», lallte er mit schwerer Stimme, «als wolltest du mich hier herausholen   …»
    Die Worte quollen zäh wie eine dickflüssige Masse über seine Lippen.
    «Oh, das würde ich gerne tun», behauptete Böttcher, «wenn ich nur könnte. Aber du hast dir dein Urteil selbst gesprochen, Jörn. Schade – mit deiner Hilfe wäre alles so einfach gewesen.»
    «Niemals hätte ich dir geholfen!», raunte Bringshaus zurück. «Niemals wieder.»
    «Das hättest du sehr wohl, schon in deinem eigenen Interesse», erklärte Böttcher ruhig. «Die Stadtverwaltung wird dieses Höhlensystem erkunden und vermessen lassen, schließlich ist es bisher unentdeckt. Den Auftrag hätte man vermutlich dir erteilt. Das hättest du nutzen können, um die Anlage für instabil zu erklären, den Zutritt zu verbieten und das Bergwerkfluten zu lassen. Stand das nicht schon länger auf der öffentlichen Agenda? Nach den heutigen Geschehnissen würde die Stadt keine Zicken mehr machen und das Geld auftreiben.» Böttcher seufzte, doch es klang nicht allzu bedauernd. «Da du aber beschlossen hast, unsere Freundschaft zu kündigen und dich ins Unglück zu stürzen, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Wahrscheinlich muss ich eigens jemanden anheuern, der die Höhle mit einer Sprengladung verschüttet – sei’s drum.»
    «Damit wirst du nicht durchkommen», flüsterte Bringshaus.
    «Das werden wir ja sehen. Wenn du nicht mehr da bist, gibt es niemanden, der die Sache bezeugen kann. Insofern, Jörn – wenn ich es mir recht überlege – war es vielleicht
doch
keine schlechte Idee, dass du dich in diese Grube gestürzt hast.»
    Die Worte wehten wie ein kalter Wind zu Bringshaus herab. Eine Antwort erübrigte sich. Vielleicht wäre er noch in der Lage gewesen, seine Zunge zu bewegen und zu sprechen, doch er fühlte keine Notwendigkeit, es zu versuchen. Böttchers Stimme driftete davon, ähnlich wie in jenem seltsamen Zustand kurz vor dem Einschlafen, wenn alle Geräusche sich zu entfernen schienen.
    Ich sterbe, dachte er. Doch es wird nicht schnell gehen. Vielleicht dauert es noch Stunden.
    Der Gedanke war zu entsetzlich, um zu Ende gedacht zu werden. Mit dem wachen Rest seines Verstandes beschloss Bringshaus, dass er diese letzte Phase seines Lebens nicht in der Wirklichkeit zubringen wollte, schon gar nicht in der Gesellschaft Böttchers.
    «Jörn?»
    Bringshaus schloss die Augen. Das Glimmen der Taschenlampe, die er immer noch in seiner

Weitere Kostenlose Bücher