Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geflecht

Das Geflecht

Titel: Das Geflecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Laudan
Vom Netzwerk:
verkrampften Hand hielt, erlosch. Tiefe Dunkelheit blieb zurück, und er wünschte inbrünstig, dass sie auch sein Inneres erfüllen, seine Sinne betäuben,sein Denken lähmen würde. Er sehnte sich nach Bewusstlosigkeit. Sein Geist war bereits dabei, sich zurückzuziehen und zu einer kleinen, harten Kugel zu ballen. Irgendwann würde er einfach erlöschen wie ein implodierendes Gestirn.
     
    «Jörn, hörst du mich noch?»
     
    Die Worte echoten in seinem Kopf, öffneten einen weiten, leeren Raum, der sich mit Bildern füllte. Zehn Jahre zergingen zu nichts. Die tiefste Schicht seiner Seele hoffte auf ein versöhnliches Bild, eine tröstliche Illusion. Er versuchte, sich an Justin zu erinnern, oder an seine Frau, bevor sie ihn verlassen hatte. Sollte er nicht wenigstens einen Tunnel sehen, an dessen Ende ein warmes Licht glühte und ihn willkommen hieß?
    Doch stattdessen sah er sich auf dem Sofa im Wohnzimmer seines Hauses sitzen, eine halbleere Bierflasche in der Hand. Durch die Terrassenfenster schien die Sonne, ein greller Hohn auf die Düsternis des Augenblicks. Diese Erinnerung war alles andere als tröstlich, denn sie besiegelte sein Versagen, zog einen Schlussstrich unter ein misslungenes Leben.
    «Jörn? Hörst du mir überhaupt zu?»
    Karin, seine Frau, hatte sich vor ihm aufgebaut, die Hände in die Seiten gestemmt, und sprach auf ihn herab wie eine Lehrerin, die einen Verweis erteilt.
    «Was ist nur los mit dir? Du redest nicht mehr mit mir, stattdessen sitzt du ständig da und brütest vor dich hin. Du vernachlässigst deine Familie, dein Geschäft, kannst dich zu nichts mehr aufraffen. Ich ertrage das nicht länger.»
    Bringshaus blickte sie nicht an, sondern hielt seine Augen irgendwo auf Höhe ihrer Knie. Er hatte es kommen sehen, hatte es an ihrer Schweigsamkeit erahnt, an ihrem Desinteresse, an der Tatsache, dass sie öfter als gewöhnlich außer Hauswar und länger wegblieb – angeblich, um Freundinnen zu besuchen. Trotzdem war er nicht in der Lage gewesen, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Die Anstrengung, aus dem Nichts ein eigenes Geschäft aufzubauen, sich die nötigen Kredite zu verschaffen und anfangs mit Geduld, später mit Verzweiflung um Kunden zu werben, hatte seine Kräfte aufgezehrt.
    «Es   … geht mir nicht gut», stammelte er. «Dr.   Gründner sagt, ich bin depressiv.»
    «Aber
ich
nicht», versetzte Karin resolut. «Ich bin zweiunddreißig und gesund und möchte ein normales Leben führen – ist das zu viel verlangt? Ich möchte ausgehen und reisen und Spaß haben, ohne dass so ein Trauerkloß an mir klebt und mir die Kräfte raubt. Ich brauche einen Mann, der mit beiden Beinen fest im Leben steht, der sich für seine Familie einsetzt und ein bisschen mehr Elan mitbringt.»
    «Gibt es einen anderen?», fragte Bringshaus tonlos.
    Karin hatte sich abgewandt und absurderweise begonnen, die Astern in der Blumenvase auf dem Sideboard zu ordnen. «Ja, es gibt einen anderen. Und jetzt beklag dich bloß nicht! Es ist mein gutes Recht, auch einmal an mich zu denken, nachdem ich jahrelang deine miese Stimmung ertragen musste. Seit du arbeitslos warst, ist es mit dir bergab gegangen: Du hast angefangen zu trinken, hast dich nicht mehr um das Haus gekümmert, nicht um Justin, nicht um mich. Als du dich selbständig gemacht hast, hatte ich noch die Hoffnung, du würdest wieder zu dir kommen   … Aber schau dich doch an! Alles, was du geschafft hast, ist, uns für den Rest unseres Lebens zu verschulden und ganze drei Kunden an Land zu ziehen – abgesehen von der lächerlichen Bergwerksaufsicht für die Stadt, die fast nichts einbringt.» Sie lachte freudlos. «Kein Wunder. Bei dem langen Gesicht, das du ständig ziehst, kannst du nicht erwarten, dass deine Kundschaft dich für besonders leistungsfähig hält.»
    «Und der andere hat Geld, nicht wahr?», mutmaßte Bringshaus. Sarkasmus war im Augenblick die einzige Form von Energie, die er noch aufzubringen vermochte. «Sag jetzt nicht, es ist dein Chef.»
    Karin fuhr schweigend fort, die Blumen zu ordnen.
    «Es ist Strunz, oder? Ich weiß es.»
    Karin schwieg beharrlich. Es stimmte also.
    «Ich habe einen neuen Auftrag», stieß Bringshaus hervor. Er verachtete sich selbst für die Beflissenheit seiner Worte, vorgebracht mit der flehentlichen Reue eines Kindes, das um die Anerkennung enttäuschter Eltern buhlt. «Wir werden bald Geld haben, viel Geld! Dieses Geschäft wird meine Schulden decken und mich ganz nach oben

Weitere Kostenlose Bücher