Das Geflecht
… im Nacken.»
Plötzlich erinnerte sich Tia: Bevor sie den Raum mit dem Syphon erreicht hatten, waren sie durch einen engen Tunnel gekrochen, und Justin hatte kurz aufgekeucht, als hätte er sich an einem Wandvorsprung gestoßen. Sie betastete seinen Nacken. Tatsächlich war der Stoff seines Pullovers zwischen Schulterblatt und Halswirbelsäule aufgerissen. Auch in dem Hemd, das er darunter trug, klaffte ein Riss. Tia schob eine Hand hindurch, befühlte die Haut – und erschrak. Die Wunde war nur oberflächlich, nicht mehr als eine Hautabschürfung, aber beulenförmig geschwollen und von einem Netz spinnwebartiger Fäden bedeckt.
«Der Pilz», erkannte sie. «Die Wunde ist infiziert.»
«Aber wie ist das möglich?», fragte Leon. «Du sagtest doch, es könnte nichts passieren, wenn wir in Bewegung bleiben.»
«Justin ist über irgendeine Felszacke geschrammt, als wir vorhin durch den Tunnel krochen. Dabei sind wahrscheinlich ein paar Hyphen abgerissen und an der Wunde kleben geblieben. So hatten sie Zeit zum Einwachsen.»
«Oh nein», flüsterte Dana beklommen. «Aber warum ist erso abwesend? Mich hat dieser Pilz doch auch angegriffen, aber mir geht es gut.»
«Bei Ihnen scheint die Infektion zurückzugehen», vermutete Tia. «Aber als ich Sie fand, Dana, war auch Ihr Puls verlangsamt, und Sie hatten Mühe zu sprechen. Bei Finn war es genauso. Ich nehme an, dass der Pilz irgendein Neurotoxin ausscheidet, das einschläfernd wirkt.»
«Aber das geht vorbei – nicht wahr?» Danas Stimme klang flehentlich. «Bei mir war es doch auch so.»
«Vielleicht spielt es eine Rolle, wo der Infektionsherd sitzt. Bei Ihnen war es nur das Schienbein, aber bei Justin ist die infizierte Stelle nahe dem Rückgrat. Das könnte bedeuten, dass das Gift einen schnelleren Weg ins zentrale Nervensystem findet.»
«Können wir nichts dagegen tun?»
Tia schüttelte den Kopf. «Nur eines: So schnell wie möglich den Ausgang finden.» Sie klopfte Justin mit der flachen Hand die Wange. «Justin? Kommen Sie zu sich! Konzentrieren Sie sich auf meine Stimme! Verstehen Sie, was ich sage?»
Justin nickte fahrig.
«Dana, reden Sie mit ihm!», befahl Tia. «Das hält ihn bei Bewusstsein. Geben Sie mir und Leon zehn Minuten, damit wir ausruhen und uns anziehen können. Dann gehen wir weiter.»
Seufzend ließ sie sich wieder auf den Rücken sinken.
Probleme ohne Ende, dachte sie resigniert. Trotzdem musste sie ein wenig verschnaufen. Sie brauchte ihre Kräfte – umso mehr, da sie nun die Einzige war, die nicht verletzt war oder mit einer Infektion kämpfte.
••• 03 : 57 ••• CAROLIN •••
… onesi … ahl … onesi … ahl
, rezitierte Carolin in Gedanken, während sie auf die dunkle Straße hinausstarrte. Die unverständlichen Silben hatten etwas seltsam Rhythmisches, als läge ihre Bedeutung ganz nahe. Eine zündende Idee wollte sich trotzdem nicht einstellen. Was hatte Tia nur gemeint? Was wollte sie ihnen mitteilen?
«In zweihundert Metern links abbiegen», empfahl die glatte Stimme des Navigationsgerätes.
Carolin seufzte, trat auf die Bremse und brachte den Wagen zum Stehen.
«Das hat keinen Zweck», sagte sie kopfschüttelnd. «Wir haben uns völlig verfahren.»
«Wie ist das möglich?», fragte Jürgen Traveen. «Ich dachte, es wären gerade mal zwei Kilometer bis zu diesem Campingplatz.»
«Ja, aber er liegt mitten im Naturschutzgebiet. Zu Fuß wären wir in einer halben Stunde da gewesen, aber der Navigator berücksichtigt das Fahrverbot und lenkt uns auf alle möglichen Umwege. Verflixt, ich hätte die Schilder ignorieren und vorhin auf diesen Forstweg einbiegen sollen.»
«Wissen Sie denn, wo wir jetzt sind?»
«Nicht genau, fürchte ich. Irgendwo zwischen dem Berg und der Autobahn.»
Carolin blickte nach draußen, sah jedoch nur die immer gleichen schwarzen Umrisse der Bäume, die die einsame Straße säumten. Keine Wegmarke bot Orientierung in der nächtlichen Landschaft. Selbst der flache Kegel des Bergs war in keiner Richtung auszumachen.
«Ach, zum Teufel mit der Technik!» Carolin schaltete das Navigationsgerät ab, legte den Rückwärtsgang ein und wendete. «Ich sollte mich einfach auf meine Nase verlassen.»
Traveen lachte. «Das sagt Tieken auch immer.»
«Mit dem Geruchssinn Ihrer Tochter kann ich leider nicht konkurrieren», schränkte Carolin ein. «Aber ich werde mein Möglichstes tun.»
Sie fuhr die Straße zurück und blieb nahezu im Schritttempo, um den Waldsaum zu
Weitere Kostenlose Bücher