Das gefrorene Licht. Island-Krimi
bevor er diese Transuse von Rósa geheiratet hatte. Dann wäre er vielleicht in die Stadt zum Studieren gegangen. Als junger Mann hatte er sich für die isländische Sprache interessiert, auch wenn er das nie jemandem erzählt hatte. Bei der einsamen Landarbeit hatten solche Wissenschaften nichts zu suchen. Mit trübseligem Blick spähte er über den Brutplatz der Eiderenten. Der letzte Kälteeinbruch hatte den Jungvögeln gerade schwer zu schaffen gemacht. Dieses Jahr würde es weniger Nester geben.
Er ging weiter. In der Ferne konnte er das Hoteldach oberhalb des Steinstrandes sehen. Ruhig und konzentriert betrachtete er es und versuchte, sich eine Meinung über die dortigen Geschehnisse zu bilden. Aber er konnte es nicht. Er zuckte mit den Schultern und lief weiter. Er war deprimiert und beschloss, den längeren Weg durch die Bucht zu nehmen. Das war noch nicht einmal ein Vorwand, denn er wollte wissen, wie die Brutplätze der Meeresvögel den Kälteeinbruch überstanden hatten. Er beschleunigte seinen Schritt und marschierte gedankenversunken weiter. Das Hotel war die Ursache für sein Gefühlschaos. Wenn es nicht gebaut worden wäre, hätte er, weder glücklich noch unglücklich, sein Leben zufrieden weitergelebt.
Bergur entdeckte ein Nest und ging langsam darauf zu. Zwei winzige Jungvögel lagen tot in der Mitte. Die Eiderente war nirgends zu sehen, vielleicht hatte die Kälte sie ebenfalls dahingerafft.
In der Bucht war die Lage ähnlich. Er sah nur wenige Jungvögel in den Nestern auf den Felsvorsprüngen. Vielleicht war das ein Trost. Den Füchsen würde es dieses Jahr genauso schlecht ergehen wie den Eiderenten. Er kehrte den Felsen den Rücken zu und ging in Richtung Hof. Seine Schritte waren schleppend; er wollte noch nicht nach Hause. Nicht einmal der Gestank des gestrandeten Wals störte ihn, er passte gut zu seiner momentanen Stimmung. Bergur beschleunigte seinen Schritt ein wenig. Vielleicht sollte er sich beeilen, nach Hause zu kommen, und Rósa sagen, dass er eine andere Frau kennengelernt hatte. Eine nettere Frau, gebildeter, schöner und jünger noch dazu. Für einen kurzen Moment erschien ihm dies vernünftig. Er würde Rósa alles überlassen, den Hof, das Vieh, die Pferde, die Brutplätze. In seiner neuen glücklichen Welt würde er damit sowieso nichts anfangen können. Doch dann verflüchtigte sich seine Vision wieder. Rósa würde den Hof nicht allein bewirtschaften können und die Neuigkeiten wohl kaum begrüßen. Genau genommen war sie nicht sehr angetan vom Landleben, hatte immer denselben teilnahmslosen Gesichtsausdruck, der an Desinteresse grenzte. Am meisten hatte sie noch für die Katze übrig. Niemals war sie richtig wütend oder richtig glücklich. Das Merkwürdige war, dass er ganz genauso empfunden hatte. Aber jetzt war er ein völlig neuer Mensch.
An der Strandkante stolperte er über etwas und schaute überrascht zu Boden. Er sah nach unten und erblickte etwas, das er am Strand noch nie zuvor gesehen hatte, auch wenn im Laufe der Jahre schon viel Kurioses an Land gespült worden war. Erstens war dies ein wesentlich größerer Tangteppich als in dieser Bucht üblich. Zweitens – und das war noch ungewöhnlicher – erkannte er unter dem Tang einen menschlichen Arm. Daran bestand gar kein Zweifel. Die Finger waren gekrümmt. Kein Puppen- oder Schaufensterfigurenhersteller käme auf die Idee, eine solche Hand anzufertigen. Bergur beugte sich hinunter und spürte, wie ihm ein scharfer Blutgeruch in die Nase stieg. Er schreckte zurück. Wahrscheinlich war der Geruch von dem Tang aufgestiegen, als Bergur den weichen Schlick mit dem Fuß angehoben hatte. Der eisenähnliche Blutgeruch war so stark, dass er den Gestank des gestrandeten Wals vollkommen überdeckte. Bergur hielt sich die Nase zu, um die Ausdünstung nicht einzuatmen. Er richtete sich wieder auf; für die Person unter dem Tang konnte er sowieso nicht mehr viel tun. Er sah die Umrisse eines Körpers mit weißer Haut durch den Tangteppich schimmern. Bergur wunderte sich darüber, dass er die Leiche nicht sofort bemerkt hatte, denn sie war sehr auffällig. Da er nie ein Handy dabeihatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf den Nachhauseweg zu machen und von dort die Polizei anzurufen. Vielleicht sollte er auch den Rettungsdienst informieren. Die Jungs würden sich das bestimmt nicht entgehen lassen wollen. Er atmete durch die Nase in den Ärmel seines Anoraks und erstarrte plötzlich. Er glotzte die Hand an. Er
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