Das gefrorene Licht. Island-Krimi
nach irgendeinem Grab gesucht.«
Im Zimmer herrschte heilloses Durcheinander. Er hatte alles durchwühlt, aber nichts gefunden. Was hatte dieses Miststück damit gemacht? Warum konnte er dieser jämmerlichen Geschichte nicht einfach ein Ende bereiten? Er legte sein Ohr an die Tür und lauschte. Im Flur schien alles ruhig zu sein. Es war sinnlos, weiterzusuchen. Er ging zurück zur Terrassentür und spähte vorsichtig durch die Gardinen. Niemand zu sehen. Behutsam öffnete er und schlüpfte hinaus. Anschließend lehnte er die Tür wieder an und machte sich davon. Unterwegs zog er die Handschuhe aus und steckte sie in die Hosentasche. Wo konnte es bloß sein?
15 . KAPITEL
Die Kirche stand auf einer Wiese unweit vom Strand. Sie thronte auf einem flachen Hügel: Klein, tiefschwarz und aus Holz, erinnerte sie Dóra an die Kirchen, die sie in der Grundschule gemalt hatte – ein kleines Haus mit einem kleinen Turm und einem Kreuz obendrauf. Ihre Gotteshäuser waren zwar wesentlich bunter gewesen, aber die schwarze Farbe stand dem Bauwerk sehr gut zu Gesicht. Den Punkt auf dem i bildeten die weißgestrichenen Fenster und die Tür. Alles in allem war erkennbar, dass die Kirche so prächtig geworden war, wie es die Finanzen eben erlaubten. Dóra konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche schwarze Kirche gesehen zu haben, und sie überlegte, ob man versucht hatte, das ursprüngliche Aussehen des Gotteshauses zu rekonstruieren. Die Wände schienen geteert zu sein, was vermutlich früher anstelle eines Anstrichs gemacht worden war. Sie beschloss im Stillen, dass dies die Erklärung sein musste, und teilte Matthias ihre Erkenntnis mit, als handele es sich um eine unwiderrufliche Tatsache. Er fiel darauf herein.
Um die Kirche war ein breiter, mit Gras und Moos überwucherter Garten angelegt, aus dem nur hier und dort ein paar Steinplatten herausragten. Gegenüber der Kirchentür führte ein hohes quietschendes Eisentor zunächst in den Garten.
»Sieh mal«, sagte Dóra. »Ein Friedhof.« Am Ende des Gartens waren ein paar Gräber zu sehen.
»Hier sind offenbar weniger Leute gestorben als erwartet«, sagte Matthias und betrachtete die leere Fläche zwischen der Kirche und den Grabsteinen.
»Ja«, pflichtete Dóra ihm bei. »Seltsam.« Matthias wandte sich dem Schloss an der Kirchentür zu. »Was sollte ich machen? Drücken oder ziehen?«
»Drücken, glaube ich. Oder ziehen. Eins von beidem«, antwortete Dóra gedankenversunken. Sie achtete nicht auf Matthias’ Bemühungen, sondern ließ ihren Blick über den Friedhof und die Gräber schweifen. »Meinst du, wir finden das Grab von dieser Kristín?«, sagte sie zu Matthias, der wild an der Tür rüttelte. »Birna muss danach gesucht haben, als sie hier war.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete er gereizt. »Was ist bloß mit dieser Tür?« Er warf sich mit der Schulter fest dagegen und drehte gleichzeitig den Schlüssel im Schloss. Ein leises Klicken ertönte. »Na endlich!«, rief er triumphierend auf Deutsch und stieß die Tür auf. »Nach Ihnen, Mylady.«
In den Vorraum passten höchstens vier Personen. Dahinter befand sich das eigentliche Kirchenschiff mit Altar, Bänken und einer Kanzel, alles aus Holz. Innen war die Kirche in gedämpften Farbtönen gestrichen und entlang der Decke und an den Seiten der Bänke durch ein Blumenmuster aufgefrischt. Das Ergebnis war hübsch und einladend, wenn man von der Altartafel mit dem leidenden Christus auf dem Berg Golgatha einmal absah.
»Warum sind die Bänke so niedrig?«, fragte Matthias und setzte sich. Er hatte Schwierigkeiten, seine Beine zwischen den Bankreihen unterzubringen.
»Vermutlich, damit man nicht einschläft«, antwortete Dóra. »Oder um Platz zu sparen. Das ist wohl wahrscheinlicher.«
»Entweder das, oder die Isländer waren alle Zwerge«, meinte Matthias und stand wieder auf. Er ging zu Dóra, die an der Treppe zur Empore stand. »Sollen wir mal nach oben gehen?«, fragte er. »Ich könnte schwören, dass wir nicht mehr als fünfzehn Sekunden brauchen, um hier unten alles abzuchecken.«
Sie stiegen die schmale Treppe hinauf. Oben war alles in denselben Farben gestrichen. Vom Geländer aus hatte man einen guten Blick in das Kirchenschiff, und erst jetzt bemerkte Dóra den mächtigen Messingkronleuchter an der Decke. Sie spähten umher, aber es gab nicht viel zu sehen; eine tadellose Orgel mit einem geöffneten Notenheft und eine Holztruhe, in der Dóra Gesangbücher und andere Chorutensilien
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