Das gefrorene Licht. Island-Krimi
wie solche Register auf dem Land gehandhabt wurden. Es war bestimmt nicht schwierig, sich oder andere nicht registrieren zu lassen.«
Sie legten die Bücher zurück, nachdem Dóra sich davon überzeugt hatte, dass ein Begräbnis der geheimnisvollen Kristín nirgends verzeichnet war.
Matthias und Dóra gingen hinaus auf den Friedhof. Sie hatten erst wenige Gräber passiert, als sie feststellten, wie sehr sich die Zeiten geändert hatten. Die auffälligsten Inschriften auf den Kreuzen lauteten:
Knabe – tot geboren, Mädchen – ungetauft
. Häufig lagen mehrere Kinder aus derselben Familie Seite an Seite, oder die Namen verstorbener Geschwister standen auf ein und demselben Grabstein. Dóra las pflichtbewusst jede Inschrift, in der Hoffnung, auf bekannte Namen zu stoßen. Sie fand zwei Gräber, in denen eine Kristín bestattet war. Beide waren im hohen Alter verstorben. Unwahrscheinlich, dass diese Frauen mit dem eingeritzten Namen auf dem Dachboden zu tun hatten.
Am Ende gingen sie zu zwei zusammengehörigen Gräbern, die jedoch durch eine kleine Einzäunung voneinander abgegrenzt waren. Beide waren mit ungewöhnlich großen, prächtigen Grabsteinen geschmückt. Die Steine ähnelten einander, waren aus hellem Stein und etwa anderthalb Meter hoch. Orangefarbenes Moos und Gestrüpp überwucherte beide Grabsteine. In den einen waren eine sich nach oben windende Schlange und eine Öllampe gemeißelt. Dóra kannte die beiden Zeichen nicht, meinte aber, die Lampe auf dem Neuen Testament des Gideonbundes gesehen zu haben. Matthias kannte die Symbole ebenso wenig. Auf dem Stein standen die Namen der Bewohner von Kirkjustétt, das nun Teil von Jónas’ Hotelgebäude war. Ganz oben war der Name des Hausherrn:
Bjarni
þ
órólfsson, Bauer auf Kirkjustétt, geb. 1896 – gest. 1944
. Darunter stand:
Seine Ehefrau A
ð
alhei
ð
ur Jónsdóttir, geb. 1900 – gest. 1928
. Darunter waren noch zwei Namen:
Bjarni, geb. 1923 – gest. 1923
und
Gu
ð
n
ý
, geb. 1924 – gest. 1945
.
»Das sind die Leute auf den Fotos, von denen ich dir erzählt habe, die Leute, die Magnús Baldvinsson kannte. Laut Magnús starben der Bauer und seine Tochter an Tuberkulose und seine Frau sehr jung an Blutvergiftung.« Sie zeigte auf die Jahreszahlen unter Aðalheiðurs Namen. »Ein Mädchen, das bei Jónas arbeitet, hat behauptet, es hätte auf dem Hof einen Inzestfall gegeben. Dabei muss es um Bjarni und seine Tochter Guðný gehen.«
»Falls sie recht hat«, meinte Matthias. »Wie kann ein Mädchen heute etwas über einen Inzestfall von vor siebzig Jahren wissen?«
»Sie wusste es von ihrer Großmutter«, antwortete Dóra. »Großmütter lügen normalerweise nicht.«
»Großmütter können mit allen Wassern gewaschen sein«, entgegnete Matthias grinsend. »Ich wäre jedenfalls vorsichtig bei solchen Geschichten, auch wenn sie von einer alten Großmutter stammen.«
»Klar«, sagte Dóra. »Ich hoffe jedenfalls für Guðný, dass an der Sache nichts dran ist.« Sie zeigte auf die Inschrift mit dem Namen des Sohnes, der das erste Jahr nicht überlebt hatte. »Ich habe auf den Fotos gesehen, dass Aðalheiður schwanger war, aber keine Bilder von einem Kind entdeckt. Wahrscheinlich hat er nur ein paar Tage gelebt.«
»Er und die meisten anderen Kinder hier in der Gegend«, meinte Matthias und zeigte auf die umliegenden Gräber. »Mehr als die Hälfte der Verstorbenen sind Kinder, die nie groß geworden sind.«
»Scheint was Wahres dran zu sein, dass es schwer war, hier Kinder großzuziehen«, sagte Dóra und ließ ihren Blick über den Friedhof schweifen. »Es sei denn, früher Kindstod war im ganzen Land so verbreitet.« Sie schüttelte sich. »Das ist zum Glück Vergangenheit«, sagte sie und wandte sich dem zweiten, schlichteren Grabstein zu. »Merkwürdig.« Sie zeigte auf den nahezu leeren Stein. »Nur zwei Inschriften:
Seine Ehefrau Kristrún Valgeirsdóttir, geb. 1894 – gest. 1940
, und darunter
Edda Grímsdóttir, geb. 1921 – gest. 1924
.« Dóra sah Matthias an. »Der Mann fehlt.«
»Kann das nicht der Vater sein, der Kristín umgebracht hat?«, fragte Matthias. »Anscheinend lebt er noch. Zumindest ist er nicht hier begraben.«
Dóra schüttelte den Kopf. »Nein, das kann nicht sein. Magnús hat gesagt, dass Grímur ein paar Jahre, nachdem er in die Stadt gezogen war, gestorben ist –«
»Aber wo ist er dann?«, fragte Matthias. »Hier ist alles für ihn vorbereitet. Ein freier Platz für seinen Namen. Schon seltsam, dass der
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