Das geheime Bild
mitkommen möchte. Schließlich hatten wir schon einmal über den Ausflug gesprochen. Aber die Einladung kam nicht. Mir fiel auf, dass in letzter Zeit immer ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht lag.
»Eine schöne Fahrt.« Ich ließ den Rest meiner Muscheln stehen, so köstlich sie auch waren.
»Ich freue mich so darauf.« Er griff nach seinem Jackett. »Nur noch eins, Meredith. Was genau versuchst du herauszufinden? Olivia Fenton ist einfach nur ein Mädchen aus einer armen Familie, die versucht, dem Kind die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Das mag zur Folge haben, dass die familiären Kontakte nicht so häufig sind, wie sie das deiner Meinung nach sein sollten, aber das ist ihre Entscheidung. Man kümmert sich hier gut um Olivia. Emily scheint sich für sie zu interessieren.«
»Genau das bereitet mir Kopfzerbrechen«, sagte ich, ohne nachzudenken.
»Wieso?« Er sah mich überrascht an.
Ich zuckte die Achseln. »Emily ist seltsam. Ich frage mich einfach …« Der Satz blieb unbeendet. Ich wollte ihm nicht sagen, welche Vermutung mich beschlich.
Simon schlüpfte in seine Jacke, machte aber keinerlei Anstalten aufzubrechen. »Was ist mit Hugh? Du hast ihn seit einer Ewigkeit nicht erwähnt. Hast du irgendetwas gehört?«
Ich erzählte ihm von der Textnachricht.
»Könnte es sein, dass deine Faszination von Emily, Olivia und der Reborn-Puppe einfach ein Weg ist, dich von den wirklichen Problemen in deinem Leben abzulenken?«
Er sagte dies so sanft, dass ich ihm nicht böse sein konnte. »Vielleicht«, sagte ich und fühlte mich plötzlich sehr einsam und wünschte, er würde mich fragen, ob ich ihn nicht zum Antiquariat begleiten möchte.
Aber er tat es nicht. »Geh nach Hause und ruf deinen Mann an, Meredith. Du weißt, dass das getan werden muss.«
Ich öffnete meinen Mund, um ihm zu widersprechen, ihm zu sagen, dass er sich um seine Angelegenheiten kümmern solle, schloss ihn aber wieder.
22
A uf dem Heimweg vom White Oak läutete mein Mobiltelefon. Ich zog es ruckartig aus meiner Tasche, ohne auch nur einen Blick auf das Display zu werfen. »Hallo?« Ich dachte, es könnte Simon sein, der mir vorschlug, später mit ihm etwas trinken zu gehen, um damit die Peinlichkeit, die sich am Ende unseres Treffens eingeschlichen hatte, aus der Welt zu schaffen.
»Meredith.«
Die Stimme meines Ehemanns sorgte dafür, dass jeder Muskel meines Körpers sich zusammenzog. Aber er hatte mich bei meinem vollen Namen genannt – ich war nicht mehr Merry.
»Bist du das?« Er klang verunsichert.
»Ja«, würgte ich kieksend heraus.
»Ich habe dir heute Morgen eine Textnachricht geschickt.«
»Die habe ich bekommen. Ich habe nur bisher noch keine Zeit gefunden, sie zu beantworten.« Aber wozu lügen? »Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, was ich sagen soll. Du hast mich damit überrumpelt.« Jetzt klang ich schon mehr wie ich selbst.
»Ich weiß. Nachdem ich sie abgeschickt hatte, hätte ich mir am liebsten selbst einen Tritt in den Hintern verpasst, weil ich so ein Feigling bin. Ich hätte dich einfach anrufen sollen.«
»Wie du das jetzt tust.« In den vergangenen Monaten hatte ich hundert mögliche Gespräche mit meinem Ehemann durchgespielt, mir kluge Argumente und schlagfertige Antworten überlegt. Die waren jetzt alle wie weggeblasen, und mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Es war mir nicht einmal möglich, nach so langer Zeit meine Reaktion auf seine Stimme einzuschätzen.
»Darf ich zu dir auf Besuch kommen?«
Nein , wollte ich sagen. Bleib weg, reg mich nicht weiter auf . »Ich weiß nicht recht«, murmelte ich. »Ich muss in meinem Kalender nachsehen. Ich bin im Moment nicht an meinem Schreibtisch.«
Er hakte nicht nach, wo ich mich befand. »Wie geht es dir überhaupt?«, fuhr ich fort. »Was ist mit dem Bein?«
»Das neue wird mir bald angepasst. Es ist ein neues Modell, das einen aktiveren Einsatz ermöglicht. Ich habe immer noch vor, an Weihnachten Ski fahren zu gehen. Ich mache jede Menge Rehatraining. Mum fährt mich durch die Gegend.« Ein kalter Schmerz durchzuckte mich: Eifersucht auf seine verwitwete Mutter, deren einziges Kind Hugh war und die seinetwegen mindestens genauso verzweifelt war wie ich. Ich schämte mich.
Eine Pause. »Der Hand geht es auch viel besser. Ich kann ein wenig tippen, das geht nicht viel schlechter als früher, als ich noch alle meine Finger hatte.«
Ich musste lachen. »Das besagt nicht viel.«
»Nicht nur mein Körper heilt,
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