Internet – Segen oder Fluch
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Einleitung
Können andere Menschen mal aufhören, immer diese anderen Meinungen zu haben? Das macht alles so unnötig anstrengend.
Jan Bölsche, Twitter, 3 . März 2009
Unbestreitbar: das Netz verändert die Welt. Die Frage aber, ob zum Guten oder zum Schlechten, ist nicht so eindeutig zu beantworten, wie die Verfechter beider Ansichten es gern hätten. Die einen bewegen sich in einem Feld zwischen fortschrittsgläubiger Naivität und selbstbewusstem Optimismus, die anderen verharren zwischen gesunder Skepsis und verbittertem Pessimismus. In der Diskussion steht oft Bauchgefühl gegen Bauchgefühl, und Argumente werden nur akzeptiert, wenn sie zu diesem Gefühl passen. Einen ärgerlich großen Raum nehmen reflexhafte Phrasen und kaum belegbare Behauptungen ein, verbunden zu einem emotionalen Amalgam, das mehr die Gruppenzugehörigkeiten festigen als irgendjemanden überzeugen soll. Regelmäßig lassen sich Diskussionspodien, Talkshowkonfrontationen und Artikelgefechte beobachten, deren Teilnehmer weniger an der Vermittlung und Erklärung interessiert sind als an der Selbstvergewisserung, und oft genug waren diese Teilnehmer die Autoren des vorliegenden Buches. Der dringend notwendige Diskurs um das Internet, seine Bedeutung für unser Leben und seine Folgen für die Welt ist ritualisiert und erstarrt. Die Diskussionsteilnehmer laben sich am Gefühl der eigenen Wichtigkeit, das Gegenüber verstärkt dieses Gefühl – denn ein Pluspol ist nichts ohne einen Minuspol und umgekehrt.
Zu allem Überfluss erweist sich die Lagerzugehörigkeit der Beteiligten auch noch als ausgesprochen unzuverlässig: Wer eben noch als Teil der Avantgarde den Fortschritt bejubelte, kann sich schon beim direkt benachbarten Thema als Erztraditionalist entpuppen, für den jede Diskussion über eine Weiterentwicklung Teufelszeug ist. Wenn wir in diesem Buch von «Skeptikern» und «Optimisten» schreiben, meinen wir damit also nicht, dass es grundsätzlich zwei Sorten von Menschen gibt. Niemand hat eine konsistente Haltung in diesen Fragen.
Was Politiker, Journalisten, Verleger, Blogger, Datenschutzbeauftragte, Musikmanager, Optimisten und Pessimisten allerdings nicht daran hindert, immer wieder dieselben Argumente auszutauschen. Und so geht das nicht erst seit gestern. Die Risiken, die der Einsatz von Computern mit sich bringt, werden seit den siebziger Jahren diskutiert. Ob Maschinen die Welt verbessern oder nicht, beschäftigt die Menschheit seit mindestens zweihundert Jahren, ebenso wie die Frage, ob technische Weiterentwicklungen Arbeitsplätze schaffen oder vernichten. Soll jeder einfach alles veröffentlichen können, was er sich so ausgedacht hat? Wie soll sich noch irgendjemand in der dadurch entstehenden Informationsflut zurechtfinden? Diese Themen waren schon vor der Einführung des Buchdrucks umstritten.
Die Recherchen zu diesem Buch haben eine zuvor nur vage vorhandene Ahnung bestätigt: Die Diskussion, die heute vom Internet handelt, ist weitgehend unverändert seit Jahrhunderten im Gang, wir sind Marionetten, die ein uraltes Stück aufführen.
Andere Beispiele für lang andauernde Auseinandersetzungen:
Bauch–Hose
Autor–Deadline
Dagobert – Klaas Klever
Staub – Wedel
Schwerkraft – Entropie
Figur im linken Wetterhäuschen–Figur im rechten Wetterhäuschen
Kasperle – Krokodil
ein ultimatives Schlussbier – ach, noch eins
Death Metal – Power Metal
Popper – Adorno
Punk – Popper
Popper – Lakatos
Roadrunner – Wile E. Coyote
brenne auf, mein Licht – nur meine liebe Laterne nicht
Wenn sich über derart lange Zeiträume lediglich die aktuellen Symptome ändern, die Diskussion aber lebendig bleibt, zeigt das: Es handelt sich eben nicht um ein Verständnisproblem, das sich in Bälde durch den Generationenwechsel von allein lösen wird, sondern um einen dauerhafteren, komplexeren Konflikt, mit dem wir einen Umgang finden müssen.
Es ist also Zeit für ein wenig Völkerverständigung: Was sagen die Skeptiker? Was die Optimisten? Und was meinen sie damit eigentlich? Dieses Buch soll beiden vermitteln, dass die andere Seite Gründe für ihre Haltung hat und nicht aus unbegreiflich vernagelten Personen besteht. Oder jedenfalls nicht nur. Eine Lösung im Sinne versöhnlicher Antworten enthält dieses Buch aber nicht. Schon weil es gar keine Lösung gibt, mit der alle zufrieden wären. Letztlich wollen mehr oder weniger alle Beteiligten die Welt besser machen, sie haben nur
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