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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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dich sah.« Ich wählte meine Worte mit Bedacht.
    »Du kannst dich unmöglich darauf gefreut haben, mich zu sehen.« Er sah mich mit seinen blauen Augen an.
    »Nicht wirklich.« Es war eine Erleichterung, dies zuzugeben. »Aber nachdem ich dich nun gesehen habe, geht es mir ähnlich. Ich sehe nicht, wie wir so weitermachen können. Aber andererseits«, ich rang um meine Fassung, »kann ich dich nicht ansehen und dabei nicht die alten Gefühle für dich haben. Die sind noch immer da.« Ich berührte meine Kehle, als hätte das, was ich für meinen Ehemann empfand, dort seinen Sitz. Närrin , schalt ich mich. Du hättest nicht so viel zugeben dürfen. Du hättest es ihm überlassen sollen, die Gefühlskarten auszuspielen.
    »Was sollen wir also tun?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich muss nachdenken.«
    Er nickte. »Vielleicht hätte ich heute nicht herkommen sollen, aber ich hatte das Bedürfnis, mich zu entschuldigen. Und einen Erklärungsversuch zu unternehmen. Ich meine, warum ich so bin, wie ich jetzt bin.«
    »Du brauchst das nicht zu erklären.«
    »Ich bin die ganze Zeit neben der Spur gewesen, seit die Bombe hochging.« Er fixierte eine Stelle über meinem Kopf. »Aber es gibt da etwas, woran ich mich erinnere oder zu erinnern glaube. Nämlich dass ich, als sie mich in Camp Bastion in die Globemaster-Maschine luden, kurz das Bewusstsein wiedererlangt habe. Ich dachte, mich im Bauch eines riesigen grauen Wals zu befinden. Und die Kanülen und Schläuche, die in meinen Körper führten, seien Angelschnüre. Ich hielt mich für einen Fisch, der von einem Wal gefressen worden war. Dann streichelte eine Krankenschwester mir die Hand und sagte, ich würde nach Hause kommen. Und dich sehen. Und ich verspürte eine, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, eine Glückswoge. Ein Hochgefühl, weil ich wusste, du erwartest mich.«
    »Lag vielleicht an den Medikamenten, die Euphorie auslösen«, sagte ich. »Oder am Adrenalin.« Ich durfte das, was er sagte, nicht akzeptieren. Damit würde ich meinen Schutzwall aufgeben.
    »Mag sein. Mag auch nicht sein.« Er neigte seinen Kopf dem Hund zu, der nun auf seinen in Turnschuhen steckenden Füßen lag. »Können wir vielleicht einen Spaziergang mit ihm machen?«
    Samson spitzte die Ohren und jaulte.
    Wir brachen auf Richtung Wald. »Wir können die Runde hier beginnen und dann einen Bogen zurück zum Haus machen«, sagte ich. »Hunde sind hier eigentlich nicht erlaubt, aber vielleicht möchtest du ja einen kurzen Blick aufs Gelände werfen.«
    »Ich würde auch gern deinem Vater Hallo sagen.« Er sah mich unbeholfen an. »Dass es jetzt nur noch deinen Vater gibt, daran kann ich mich nicht gewöhnen. Deine Mutter war eine wunderbare Frau, Meredith, sie hat mir regelmäßig Karten geschickt. Und Bücher.«
    Das hatte ich nicht gewusst. »Sie hat dich vermisst.« Verdammt. Eine weitere Schwäche eingestanden. Um meinen Ärger zu kaschieren, legte ich einen Schritt zu. Dann jedoch fiel mir Hughs neues Bein ein, und ich verlangsamte mein Tempo.
    »Du brauchst auf mich keine Rücksicht zu nehmen. Ich muss schneller werden.«
    »Am Ende wirst du sogar noch schneller, als du vorher warst.« Ich erinnerte mich an Wanderungen, bei denen ich hatte rennen müssen, um mit seinen großen Schritten mithalten zu können.
    »Wenigstens habe ich jetzt ein Bein, das ich mir beim Skifahren nicht brechen kann.«
    Über uns im Westen entdeckte ich eine Globemaster-Maschine im Landeanflug auf den RAF Lyneham, die wohl eher die Toten als die Verwundeten nach Hause brachte. Ich wandte meinen Blick ab. Aber Hugh hatte das Flugzeug entdeckt. »Da kommt wieder eine arme Sau nach Hause.«
    Er verfolgte das Flugzeug, bis es hinter den Hügeln aus dem Blickfeld verschwand, und ich spürte, wie er sich entspannte. Die Herbstsonne, die heute sehr launenhaft war, kam hinter einer Wolke hervor und tauchte ihn in ihr goldenes Licht. Er erinnerte mich an einen Ritter. Sein Gesicht war ernst: nachdenklich, aber nicht gebrochen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer blitzte in mir auf, den ich mir jedoch nicht anmerken lassen wollte.
    »Als die Bombe losging, hat die Druckwelle nicht nur mein Bein und meine Finger weggerissen. Sondern auch mein Gehirn erschüttert.« Er sagte dies leidenschaftslos, aber seine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich erinnerte mich an die Demonstration des Pflegers mit der Orange, sagte aber nichts. »Seit sie die Medikamente anders eingestellt haben, fühle ich mich

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