Das geheime Bild
ist in die Stadt gegangen. Ich wollte nicht mit.« Sie trug einen Pullover, dessen Ärmel aufgerollt waren, sodass man das rote Gummiband sah, das noch immer ihr rechtes Handgelenk umspannte.
»Ich wüsste nicht, wobei«, sagte Dad. »Oh, warte mal, du könntest mir helfen, die Ablage zu sortieren. Mrs. Evans wird uns dankbar sein.«
Samantha beklagte sich schon lange über Dads Ablage. Hugh sah Olivia hinterher, als diese den Raum verließ.
»Was ist denn?«, fragte ich ihn.
»Wer ist das?«
»Eine Schülerin. Olivia Fenton. Sie bleibt während der Herbstferien in der Schule.«
»Ich sollte jetzt auch besser gehen«, sagte Dad und streckte Hugh wieder die Hand hin. »Schön, dich zu sehen.«
»Dieses Mädchen Olivia ist mir wirklich ein Rätsel«, erzählte ich Hugh, als wir wieder allein waren. Ich berichtete ihm, was ich über Olivias Tante in Bellingham und ihren Job als Haushälterin wusste und von ihrer Verbindung zur Reborn-Puppe. »Eigentlich sollte ich dir das alles gar nicht erzählen. Dad ist mit meinen Aktionen nicht einverstanden, mit meiner Schnüffelei genauer gesagt.«
»Sie sieht gar nicht aus wie jemand, der so etwas Verrücktes tut«, sagte er.
Ich wusste, was er meinte. Olivia sah offen und aufrichtig aus. Und doch hatte ich immer noch das Gefühl, dass sie vor uns allen etwas verbarg. Geheimnisse. Selbst wenn sie mit der Reborn-Puppe nichts zu tun hatte, gab es etwas, was Olivia bedrückte.
»Schade auch um ihre Arme«, fuhr er fort. »All diese kleinen Narben. Was ist passiert?«
Er hatte immer schon ein Auge für kleinste Details gehabt. »Das ist dir auch aufgefallen? Ich denke, sie fügt sich selbst Verletzungen zu.«
»Was?«
Ich erklärte ihm, dass Teenager manchmal auf Stress oder weil sie unglücklich waren, damit reagierten, sich selbst zu ritzen.
Er sah mich entgeistert an. »Kannst du nichts dagegen tun?«
»Die Schulkrankenschwester hat mit ihr gesprochen. Es scheint inzwischen aufgehört zu haben.« Ich musste an Emily denken. »Ich denke, sie hat so etwas wie eine Komplizin oder Partnerin.«
Er zog die Stirn kraus.
»Die Studentin, die hier ihr Gap Year macht, Emily. Ich habe den Verdacht, dass sie dasselbe tut.«
»Das ist doch krank.« Er schluckte. »Hast du mit dieser Emily gesprochen?«
»Olivia macht dicht, wenn wir sie fragen. Und es gibt keinen Beweis, dass Emily etwas damit zu tun hat.«
»Ich finde die ganze Sache höchst seltsam.« Bestimmt dachte er jetzt an all das Blut in Afghanistan. Gleichzeitig gab es hier im Westen Mädchen, die in Wohlstand und Frieden lebten und ihre Körper mit Klingen traktierten. »In Afghanistan verhindern die Taliban, dass die Mädchen zur Schule gehen. Einige von ihnen würden alles geben, um einen Ort wie diesen zu besuchen. Wenn ich denen erzählte, dass es hier Mädchen gibt, die ihre Haut mit Messern ritzen, würden sie die für verrückt erklären.«
»Ich weiß.«
»Ich wünschte, ich könnte …« Er unterbrach sich abrupt.
Ich wartete.
»Ich wünschte, ich könnte ihnen sagen, dass nichts von dem, was sie hier bekümmert, wirklich zählt. Als Teenager bereitet einem alles Probleme: Freunde, Kleider, ob man im Sport gut genug ist. Aber nichts davon zählt wirklich.«
»Vielleicht können wir dich bitten, einen Vortrag zu halten.« Ich stoppte mich. Ich setzte zu viel voraus, setzte voraus, dass er noch Teil meines Lebens war. »Es könnte helfen«, fuhr ich fort, weil er mich anstarrte. »Sie bekämen damit ein Gefühl für die Verhältnismäßigkeit.«
Er schwieg. Hugh war es immer wichtig gewesen, fair zu spielen, und damit ich mir keine falschen Hoffnungen machte, würde er sich sicherlich nur dann auf ein weiteres Treffen einlassen, wenn er sich tatsächlich sicher war, dass es eine gemeinsame Zukunft gab.
»Wie auch immer, komm jederzeit wieder, wenn dir danach ist«, sagte ich so beiläufig wie möglich. »Samson wird sich freuen, dich zu sehen.«
»Ich würde gern zu ihnen sprechen«, sagte er. »Darüber, was wir da draußen tun, was wir erreichen wollen. Wenn es dir nichts …?«
»Es würde mir nichts ausmachen.« Hoffentlich kam es sorglos genug rüber. Ich hielt die Eingangstür auf. »Sollen wir umkehren und uns in den Stallungen von Samson verabschieden? Dein Zug geht schon bald.« Er verweilte auf der Türschwelle.
»Der Geschichtsraum, war das nicht der Ort, wo Simon die Puppe gefunden hat?«
»Das stimmt.«
»Hat der Geschichtsraum früher nicht mal einem anderen Zweck gedient? Nicht
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