Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
hast. Die Therapie wird keine Wunder bewirken, aber wenn du dich mit aller Kraft darauf konzentrierst, dann schaffst du es.” Eve schien es zu genießen, ihr Ratschläge geben zu können. Sie wechselte den Hörer von einer Hand in die andere, Corinne wusste, dass sie Schmerzen hatte. “Und jetzt habe ich noch einen anderen kleinen Tipp für dich. Kannst du dich an einen Moment erinnern, wo du wirklich richtig mutig warst?”
“Nein.” Corinne lachte.
So einfach ließ ihre Mutter sich nicht abwimmeln. “Fühlst du dich nie selbstsicher und stark?”
Corinne legte den Kopf in den Nacken und betrachtete nachdenklich die Decke. “Im Klassenzimmer. Wenn ich vor meinen zwanzig Schülern stehe, dann weiß ich genau, was ich tue.”
“Die meisten Leute würden sich dabei vor Angst in die Hose machen.”
“Ich finde es aber herrlich”, rief Corinne.
“Wenn du das nächste Mal vor irgendetwas Angst hast, dann erinnere dich an das Gefühl, wenn du vor einer Schulklasse stehst. Stell dir vor, wie es riecht, erinnere dich an die Geräusche und vor allem an das ruhige Gefühl in dir.”
“Es ist eher ein aufregendes Gefühl. Aber angenehm aufregend.”
“Umso besser. Dann erinnere dich an dieses angenehm aufregende Gefühl und versuche, es in der neuen Situation ebenfalls zu empfinden. Sag dir immer wieder, wie zuversichtlich du dich fühlst. Wie ein Mantra. Denke immer daran, wie es dir geht, wenn du unterrichtest.”
“Hm. Ist das ein Tipp von dir als Therapeutin?”
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. “Das habe ich gelernt, lange bevor ich studierte.” Sie wurde still, ihr Lächeln verblasste.
“Mom?”, fragte Cory.
“Ach, Cory”, murmelte ihre Mutter.
“Was ist denn los?”
Ihre Mutter seufzte tief. “Von allen Problemlösungen und all den Techniken, die ich als Therapeutin irgendwann einmal gelernt habe, ist diese …” Sie zögerte.
“Was ist denn?”
“Ich benutze diese Technik schon so lange, dass ich fast vergessen hätte, wer sie mir beigebracht hat. Vor der Entführung deiner Mutter haben Tim, Marty und ich bei Freunden von ihnen übernachtet. Die lebten aus Gründen, die ich nicht kenne, unter falschem Namen. Die Frau – ihr Name war Naomi – sprach mit mir über unser Vorhaben. Ich sagte, ich hätte Angst davor, auf deine Mutter aufzupassen. Und sie sagte, ich solle mich an eine Zeit erinnern, in der ich mich mutig fühlte. Es hat funktioniert. Es hat geholfen.”
Corinne lehnte sich erschüttert zurück.
“Seitdem habe ich natürlich viel mehr über diese Technik gelernt”, fuhr ihre Mutter fort. “Aber die Grundlagen bleiben dieselben. Nimm dieses alte, ruhige Gefühl mit in eine neue Situation.” Sie zog die Augenbrauen zusammen und sah Corinne tief in die Augen. “Ich habe damit etwas Schlechtes getan. Tu du etwas Gutes damit.”
“Ich werde es versuchen. Welche Erinnerung war für dich wichtig?”
“Die Erinnerung daran, dass ich bei meiner Mutter blieb, als sie starb.”
“Oh, Mom. Und du warst erst … zwölf?”
Ihre Mutter nickte. “Damals war ich tapfer. Und dieses Gefühl brauche ich nun auch, um die Tage hier zu überstehen.”
Corinne betrachtete ihre kleine, mutige Mutter. Es gab so vieles, was sie nicht wusste. Sie hatte sich nie die Zeit dafür genommen. Würde sie nun vielleicht nie mehr eine Chance bekommen?
66. KAPITEL
A ls Corinne aus dem Taxi stieg, wartete bereits eine Frau mit einer Sendung von FedEx auf sie.
“Gut, dass ich Sie erwische. Sie müssen hier unterschreiben.” Die Frau hielt Corinne ein Päckchen in der Größe eines Schuhkartons hin. Corinne blickte auf die Adresse aus Charlottesville.
“Danke”, sagte sie und reichte der Frau den unterschriebenen Zettel zurück.
In der Küche öffnete sie das Päckchen und zog einen Umschlag hervor, in dem eine kurze Nachricht von Irving Russell steckte und ein Scheck über dreitausend Dollar.
Wenn du das Geld nicht auf einmal annimmst, dann wenigstens hoffentlich in kleinen Raten. Der Inhalt der beiden Schachteln gehörte deiner Mutter.
Für einen kurzen, unwirklichen Moment fragte sie sich verwirrt, wie er wohl an etwas von ihrer Mutter gelangt war. Erst dann begriff sie, dass er Genevieve meinte.
In der ersten Schachtel lag ein Ring mit Smaragden und Diamanten besetzt, in der zweiten ein Saphircollier und in der dritten eine Perlenkette. Sie breitete den wunderschönen Schmuck auf dem Küchentisch aus, studierte ihn eine Weile und fragte sich, ob sie ihn jemals tragen konnte.
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