Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
Zeit, und außerdem sollte niemand von ihrem Plan erfahren. Sie wollte nicht hören, dass er töricht war. Das war nicht wichtig. Sie musste es einfach tun.
Sie kannte den Campus in- und auswendig und stellte ihr Auto auf dem Parkplatz ab, der am nächsten zur Madison Hall lag. Sie fühlte sich um so vieles älter als die Studenten, an denen sie vorbeiging. Älter und klüger. Es war nicht schwer, das Büro des Präsidenten zu finden.
Die Sekretärin telefonierte gerade und sah auf, als Corinne eintrat.
“Oh mein Gott”, sagte sie in den Hörer. “Ich rufe dich gleich zurück.” Dann stand sie auf und packte Corinnes Hand. “Sie sind Corinne”, sagte sie lächelnd. “Ich habe ihr Foto gesehen, aber mir war nicht klar, wie ähnlich sie Vivian sehen.”
“Ist Präsident Russell da?”
Die Sekretärin warf einen Blick auf die blinkenden Knöpfe des Telefons. “Er spricht gerade. Nehmen Sie doch Platz, ich sage ihm Bescheid.”
Ob er sich weigern würde, sie zu sehen?
“Ich muss sofort mit ihm sprechen”, erklärte Corinne und ging zielstrebig auf die Bürotür zu.
“Warten Sie!” Die Frau wollte sie aufhalten. “Lassen Sie mich schnell nachfragen …”
Corinne riss die Tür auf. Russell telefonierte tatsächlich und sah überrascht auf.
“Entschuldigen Sie, ich rufe Sie gleich zurück”, sagte er. “Ja. Auf Wiederhören.” Er erhob sich. “Corinne.”
“Ich muss mit dir sprechen.”
“Gut.” Er deutete auf einen Stuhl. “Du hast recht. E-Mails und Anrufe reichen manchmal einfach nicht aus. Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich gestern Abend einfach aufgelegt habe. Du hast da einen wunden Punkt bei mir berührt.”
Sie setzte sich ihm gegenüber in dem Wissen, dass sie heute denselben wunden Punkt wieder berühren würde. Sie musste es irgendwie schaffen, die Kontrolle über das Gespräch zu behalten, ansonsten würde er sie einfach überrennen. Sie faltete die Hände im Schoß. Ihre Handflächen waren feucht.
“Du und Vivian, ihr sprecht von Liebe, als ob sie ganz automatisch entstehen würde”, begann sie. “An einem Tag kenne ich dich als Präsidenten der University of North Carolina und am nächsten als meinen Vater. Und es wird erwartet, dass ich dich automatisch liebe.”
“Das würde ich niemals von dir erwarten”, sagte er. “Aber für mich
ist
es so. Du bist mein Fleisch und Blut. Das reicht mir. Deswegen möchte ich dir …” Er streckte die Arme aus. “Ich möchte dir die Welt schenken. Ich möchte dir noch mehr Schmuck von deiner Mutter geben. Vivian hat das meiste, auch Genevieves Schwestern haben einiges geerbt – deine Tanten. Aber ein paar Stücke habe ich behalten, weil … ich schätze, ich habe immer noch gehofft, dass Genevieve noch am Leben wäre. Dass sie ihn eines Tages wieder tragen könnte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, ihn eines Tages meiner Tochter geben zu können.” Als sie sein Lächeln sah, tat er ihr unendlich leid. Er hatte so viel durchgemacht. Aber trotzdem durfte sie sich dadurch von dem Grund ihres Besuchs jetzt nicht ablenken lassen.
“Entschuldige, dass die Liebe für mich nicht so selbstverständlich ist. Dafür brauche ich noch mehr Zeit.”
“Das ist in Ordnung, Corinne”, sagte er liebevoll. “Ich verstehe das. Und Vivian auch.”
“Ich habe das Gefühl, ihr seht in mir jemanden, der ich nicht bin. Ihr seht mich als deine Tochter. Nicht als Corinne.”
Er hob den Kopf. “Das stimmt auch. Denn du
bist
meine Tochter.”
“Aber nicht die Tochter, die du dir in deiner Fantasie vorgestellt hast.”
Er lachte. “Das sind die wenigsten Kinder.”
“Bitte, versuch doch zu verstehen, wer ich bin.” Sie beugte sich nach vorne. “Ich bin ein guter Mensch. Und ich bin wirklich eine gute Lehrerin. Ich bin dankbar für das Geld, das du mir geschickt hast, denn ich weiß, du willst, dass es mir gut geht. Mir, deiner Tochter. Und ich finde es wunderbar, den Schmuck meiner Mutter zu tragen. Alles das ist mir sehr wichtig. Aber wenn du wirklich etwas für mich tun willst, dann hilf mir, meine … hilf mir, Eve aus dem Gefängnis zu holen.”
Sein Lächeln verschwand.
“Ich liebe sie”, fuhr Corinne fort. “Ich brauche sie. Sie hat etwas Schreckliches getan. Sie …”
“Du kannst im Plural sprechen. Sie hat mehrere schreckliche Dinge getan.”
“Also gut, schreckliche Dinge. Das weiß sie, und sie hat ein vorbildliches Leben geführt, um es wieder gutzumachen. Was hilft es dir, wenn sie im Gefängnis
Weitere Kostenlose Bücher