Das geheime Leben des László Graf Dracula
am liebsten weiterge-A fahren. Ganz Europa lag mir offen, und ich dachte an die schier endlose Weite des Kontinents, in dem ich inkognito umherstreifen könnte, bis ich wie ein tollwütiger Hund zur Strecke gebracht würde. Vielleicht hätte ich mich dazu entschließen sollen, solange ich noch die Gelegenheit hatte. Jetzt ist meine Bewegungsfreiheit eingeengt. Ich bin gezwungen, einen Weg einzuschlagen, dessen Ende ich nicht absehen kann.
Ich suchte Wlassics auf, um ihm zu sagen, daß ich die Wohnung nicht länger brauchte.
»Die Miete ist doch für ein Jahr im voraus bezahlt«, wandte er ein.
»Nun, da kann man nichts machen«, entgegnete ich etwas ungeduldig.
»Meine Pläne haben sich geändert, und ich habe jetzt keine Verwendung mehr für das Objekt.«
»Vielleicht kann ich sie untervermieten. Manchen Interessenten ist mit einem befristeten Vertrag gedient...«
»In diesem Fall, um so besser für Sie. Was immer Sie dafür bekommen, können Sie behalten.«
»Sehr großzügig von Ihnen, Herr Graf.«
Er musterte mich nachdenklich mit seinen Fischaugen, während er den Schlüsselbund in der Hand klimpern ließ. Offensichtlich legte er mir diese unerwartete Großzügigkeit als Schwäche aus, und jetzt zerbrach er sich den Kopf, ob es da nicht noch mehr herauszuschlagen gäbe. Vielleicht erwog er gar, mich geradeheraus zu erpressen? Ich starrte ihn kalt an, bis er eingeschüchtert den Blick senkte.
28. SEPTEMBER 1887
Ich habe es eilig, die Wohnung zu räumen. Die Kosten sind unwichtig. Ich nahm das erste Angebot an, das der Möbelhändler mir machte, sehr zu seiner Überraschung, unter der Bedingung, daß er das gesamte Mobiliar bis zum übernächsten Tag entfernt haben würde. Dann wird es keine Spuren geben, und nicht einmal Inspektor Kraus wird sie noch erschnüffeln können.
Ich gestehe, mir ist ein wenig melancholisch zumute, während ich allein an diesem Ort sitze, der ganz von Estelles Geist durchdrungen ist. Hätte es nicht auch anders enden können, ohne ihren Tod? Ich fürchte mich vor der Antwort, weiß ich doch nur zu gut, daß die Wurzeln meiner Tat sich weit zurück bis zum Beginn unserer Beziehung erstrecken. Selbst in stillen Augenblicken der Zärtlichkeit klopfte mein Puls im Heraufdrängen einer Anwandlung, die nicht Gestalt annehmen durfte, und ich mußte mich schnell abwenden, um einen Sicherheitsabstand zwischen uns zu schaffen. Gab es von jeher schon ein Element in meiner Liebe, das sie sich für diese letzte Erfüllung aufsparte?
29. SEPTEMBER 1887, MORGEN
Über meinen Betrachtungen hatte ich Luzi, das Dienstmädchen, vergessen. Sie ist ein freches, selbstbewußtes kleines Ding.
»Kann ich noch irgend etwas für Sie tun, gnä' Herr?« fragte sie kokett.
Ungeniert zeigt sie ihre Bereitschaft, in die Fußstapfen ihrer Herrin zu treten.
Ich bin nicht abgeneigt. Der Minotaurus, der sich so glaubhaft meiner menschlichen Maske bedient und durch meine Augen hinausstarrt, hat das eingeengte Blickfeld eines hungrigen Raubtiers, das sich nicht mit dem Fleisch allein zufriedengibt. Er will sie haben.
»Nein, nein, vielen Dank«, erwiderte ich scheinbar zerstreut, so daß sie glauben mag, ich würde ihre Kirschlippen und ihr rabenschwarzes Haar nicht bemerken. »Du kannst gehen.« Und doch folgten ihr meine Augen, und als sie bei der Tür war, fügte ich hinzu: »Ich werde dich rufen, wenn ich etwas brauche.«
Die Bemerkung ermutigte Luzi, und im Hinausgehen schwenkte sie einladend die Röcke, mit einem kecken Blick über die Schulter.
Sie erfordert nicht mehr als ein Wort oder eine Geste. Es wäre so leicht – und so dumm. Ich bin töricht genug, zuzulassen, daß sich meine Phantasie Stück für Stück entzündet, bis ich mir auf das lebhafteste ausmalen kann, wie meine Finger sich in ihr dickes schwarzes Haar wühlen, es nach hinten ziehen, bis ihr Hals sich spannt, ihre zarte Kehle bloßliegt... Genug!
Ich habe sie zurückgerufen und ihr gesagt, daß sie entlassen ist. Ich habe ihr den Lohn für sechs Monate als Ausgleich für die fristlose Kündigung gegeben, aber trotzdem schmollt sie. Offenbar hatte sie sich anderes erhofft. Ich habe auch darauf bestanden, daß sie in ihr Dorf zurückkehrt, ein abgelegener Ort nordöstlich von hier, wo man von den Ermittlungen in der Mordsache sicher nie etwas hören wird. Es ist schade, daß ich sie gehen lassen muß, aber ich muß Vernunft bewahren, sonst bin ich schon verhaftet, bevor die Woche um ist.
30. SEPTEMBER 1887
Kaum hatte ich
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